Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Wälzte sich stromgleich die heilige Phalanx
Der gottentflammten, ölgesalbten,
Todgeweihten Streiter,
Stumm und erwartungsbleich,
Eine neue Völkerwandrung.
Ihr blutrothes Banner,
Umblitzt von tausend nackten Schwertern,
Spiegelte die aufgehende Sonne wieder,
Noch einmal küßte sich
Mutter und Kind, Vater und Sohn
Und feierlich fluthete durch alle Himmel
Ihr heiliger Hymnus:
"Excelsior!"
Herzerschütternd, seelenergreifend,
Unten, tief unten!
Aber droben im siebenten Himmel
Thronte noch immer auf seinem goldnen,
Bluttriefenden Stuhl
Der gealterte Judengott, kalt wie ein Steinbild,
Und all der Jammer, der unsägliche Jammer,
Der aus dem armen, wehgemarterten
Herzen der Menschheit, äonenlang
Blut gesaugt wie ein Vampyr:
O, der war spurlos an ihm vorübergegangen,
Denn der alte Mann war kindisch geworden
Und ließ sich selbstgefällig
Von seinen sogenannten Engeln
Wälzte ſich ſtromgleich die heilige Phalanx
Der gottentflammten, ölgeſalbten,
Todgeweihten Streiter,
Stumm und erwartungsbleich,
Eine neue Völkerwandrung.
Ihr blutrothes Banner,
Umblitzt von tauſend nackten Schwertern,
Spiegelte die aufgehende Sonne wieder,
Noch einmal küßte ſich
Mutter und Kind, Vater und Sohn
Und feierlich fluthete durch alle Himmel
Ihr heiliger Hymnus:
„Excelsior!“
Herzerſchütternd, ſeelenergreifend,
Unten, tief unten!
Aber droben im ſiebenten Himmel
Thronte noch immer auf ſeinem goldnen,
Bluttriefenden Stuhl
Der gealterte Judengott, kalt wie ein Steinbild,
Und all der Jammer, der unſägliche Jammer,
Der aus dem armen, wehgemarterten
Herzen der Menſchheit, äonenlang
Blut geſaugt wie ein Vampyr:
O, der war ſpurlos an ihm vorübergegangen,
Denn der alte Mann war kindiſch geworden
Und ließ ſich ſelbſtgefällig
Von ſeinen ſogenannten Engeln
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0288" n="266"/>
          <lg n="11">
            <l>Wälzte &#x017F;ich &#x017F;tromgleich die heilige Phalanx</l><lb/>
            <l>Der gottentflammten, ölge&#x017F;albten,</l><lb/>
            <l>Todgeweihten Streiter,</l><lb/>
            <l>Stumm und erwartungsbleich,</l><lb/>
            <l>Eine neue Völkerwandrung.</l><lb/>
            <l>Ihr blutrothes Banner,</l><lb/>
            <l>Umblitzt von tau&#x017F;end nackten Schwertern,</l><lb/>
            <l>Spiegelte die aufgehende Sonne wieder,</l><lb/>
            <l>Noch einmal küßte &#x017F;ich</l><lb/>
            <l>Mutter und Kind, Vater und Sohn</l><lb/>
            <l>Und feierlich fluthete durch alle Himmel</l><lb/>
            <l>Ihr heiliger Hymnus:</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">&#x201E;Excelsior!&#x201C;</hi> </l><lb/>
            <l>Herzer&#x017F;chütternd, &#x017F;eelenergreifend,</l><lb/>
            <l>Unten, tief unten!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="12">
            <l>Aber droben im &#x017F;iebenten Himmel</l><lb/>
            <l>Thronte noch immer auf &#x017F;einem goldnen,</l><lb/>
            <l>Bluttriefenden Stuhl</l><lb/>
            <l>Der gealterte Judengott, kalt wie ein Steinbild,</l><lb/>
            <l>Und all der Jammer, der un&#x017F;ägliche Jammer,</l><lb/>
            <l>Der aus dem armen, wehgemarterten</l><lb/>
            <l>Herzen der Men&#x017F;chheit, äonenlang</l><lb/>
            <l>Blut ge&#x017F;augt wie ein Vampyr:</l><lb/>
            <l>O, der war &#x017F;purlos an ihm vorübergegangen,</l><lb/>
            <l>Denn der alte Mann war kindi&#x017F;ch geworden</l><lb/>
            <l>Und ließ &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;tgefällig</l><lb/>
            <l>Von &#x017F;einen &#x017F;ogenannten Engeln</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0288] Wälzte ſich ſtromgleich die heilige Phalanx Der gottentflammten, ölgeſalbten, Todgeweihten Streiter, Stumm und erwartungsbleich, Eine neue Völkerwandrung. Ihr blutrothes Banner, Umblitzt von tauſend nackten Schwertern, Spiegelte die aufgehende Sonne wieder, Noch einmal küßte ſich Mutter und Kind, Vater und Sohn Und feierlich fluthete durch alle Himmel Ihr heiliger Hymnus: „Excelsior!“ Herzerſchütternd, ſeelenergreifend, Unten, tief unten! Aber droben im ſiebenten Himmel Thronte noch immer auf ſeinem goldnen, Bluttriefenden Stuhl Der gealterte Judengott, kalt wie ein Steinbild, Und all der Jammer, der unſägliche Jammer, Der aus dem armen, wehgemarterten Herzen der Menſchheit, äonenlang Blut geſaugt wie ein Vampyr: O, der war ſpurlos an ihm vorübergegangen, Denn der alte Mann war kindiſch geworden Und ließ ſich ſelbſtgefällig Von ſeinen ſogenannten Engeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/288
Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/288>, abgerufen am 24.11.2024.