Todtenbahre mit all' ihren schwarzen Trauerflören blieben bei jedem Schritte seines Weges undeutlicher hinter ihm zurück; die zürnenden Worte, die Hed- wigs Vater gegen ihn ausgestoßen, verhallten wie ferner Donner. Er vernahm nur der Tochter Lie- besschwüre, hörte nur der Mutter segnende Verhei- ßungen, empfand nur Hoffnung und Zuversicht.
Wenn seine Seele im vergangenen Winter zwi- schen ahnungsvollem Antheil für eine kranke Frau und zwischen schwärmerischer Liebe für ein vorwurfs- freies Mädchen getheilt, einen höheren Schwung genommen, sich so zu sagen der irdischen Sinnenwelt enthoben hatte, so kehrte sie jetzt, aus solchem seltsam bedrängenden Widerspruche befreit, zu ihren früheren weltlichen Anforderungen zurück; freute sich des jun- gen, kräftigen Körpers, den sie beherrschte und strebte, von ihm getragen, behaglichem Dasein entgegen. Das alte Wort, daß einer schönen Seele am wohl- sten sei in einem schönen Leibe, durfte an unserem Freunde seine ganze Wahrheit bewähren.
Wer ihn so rüstig daher wandeln sah, konnte ihn für einen Halbgott halten.
Für etwas dergleichen ihn ansehen zu wollen, schienen denn auch die Weiber und Mädchen, die ihn
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Todtenbahre mit all’ ihren ſchwarzen Trauerfloͤren blieben bei jedem Schritte ſeines Weges undeutlicher hinter ihm zuruͤck; die zuͤrnenden Worte, die Hed- wigs Vater gegen ihn ausgeſtoßen, verhallten wie ferner Donner. Er vernahm nur der Tochter Lie- besſchwuͤre, hoͤrte nur der Mutter ſegnende Verhei- ßungen, empfand nur Hoffnung und Zuverſicht.
Wenn ſeine Seele im vergangenen Winter zwi- ſchen ahnungsvollem Antheil fuͤr eine kranke Frau und zwiſchen ſchwaͤrmeriſcher Liebe fuͤr ein vorwurfs- freies Maͤdchen getheilt, einen hoͤheren Schwung genommen, ſich ſo zu ſagen der irdiſchen Sinnenwelt enthoben hatte, ſo kehrte ſie jetzt, aus ſolchem ſeltſam bedraͤngenden Widerſpruche befreit, zu ihren fruͤheren weltlichen Anforderungen zuruͤck; freute ſich des jun- gen, kraͤftigen Koͤrpers, den ſie beherrſchte und ſtrebte, von ihm getragen, behaglichem Daſein entgegen. Das alte Wort, daß einer ſchoͤnen Seele am wohl- ſten ſei in einem ſchoͤnen Leibe, durfte an unſerem Freunde ſeine ganze Wahrheit bewaͤhren.
Wer ihn ſo ruͤſtig daher wandeln ſah, konnte ihn fuͤr einen Halbgott halten.
Fuͤr etwas dergleichen ihn anſehen zu wollen, ſchienen denn auch die Weiber und Maͤdchen, die ihn
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Todtenbahre mit all’ ihren ſchwarzen Trauerfloͤren
blieben bei jedem Schritte ſeines Weges undeutlicher
hinter ihm zuruͤck; die zuͤrnenden Worte, die Hed-
wigs Vater gegen ihn ausgeſtoßen, verhallten wie
ferner Donner. Er vernahm nur der Tochter Lie-
besſchwuͤre, hoͤrte nur der Mutter ſegnende Verhei-
ßungen, empfand nur Hoffnung und Zuverſicht.
Wenn ſeine Seele im vergangenen Winter zwi-
ſchen ahnungsvollem Antheil fuͤr eine kranke Frau
und zwiſchen ſchwaͤrmeriſcher Liebe fuͤr ein vorwurfs-
freies Maͤdchen getheilt, einen hoͤheren Schwung
genommen, ſich ſo zu ſagen der irdiſchen Sinnenwelt
enthoben hatte, ſo kehrte ſie jetzt, aus ſolchem ſeltſam
bedraͤngenden Widerſpruche befreit, zu ihren fruͤheren
weltlichen Anforderungen zuruͤck; freute ſich des jun-
gen, kraͤftigen Koͤrpers, den ſie beherrſchte und ſtrebte,
von ihm getragen, behaglichem Daſein entgegen.
Das alte Wort, daß einer ſchoͤnen Seele am wohl-
ſten ſei in einem ſchoͤnen Leibe, durfte an unſerem
Freunde ſeine ganze Wahrheit bewaͤhren.
Wer ihn ſo ruͤſtig daher wandeln ſah, konnte ihn
fuͤr einen Halbgott halten.
Fuͤr etwas dergleichen ihn anſehen zu wollen,
ſchienen denn auch die Weiber und Maͤdchen, die ihn
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/7>, abgerufen am 26.07.2024.
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