anfänglich gehegt, wenn ich ihn sein Leben einem so gebrechlichen, dünnen Fahrzeuge anvertrauen sah, schwand gänzlich durch die Macht der Gewohnheit. Wie zu einem Spaziergange durch Feld und Flur sah ich ihn zu jeder neuen Luftfahrt sich rüsten, winkt' ich ihm lächelnd: "viel Vergnügen" nach, wenn er von muthiger Freude strahlend emporstieg. Jch liebte ihn mit einer Jnnigkeit, die sich durch Worte nicht beschrei- ben läßt; ich lebte nur in ihm, nur in meiner Anhäng- lichkeit für ihn. Seine Sanftmuth legte meinen üblen Gewohnheiten den mildesten Zwang auf: ich besserte mich, ich wurde gut, weil es mich glücklich machte, ihm zu gehorchen, ihm nachzustreben. Jch glaube nicht, daß auf dieser Erde noch zwei Menschen leben, die so glücklich mit einander sind, als ich mit ihm war. Wir waren nie getrennt, auch nicht auf Viertelstun- den, außer wenn er in die Luft stieg. Und daß ich, während er die blauen Räume durchflog, auf der Erde weilen mußte, ohne ihn, blieb die einzige Einwendung, die ich gegen seine Wagnisse vorzubringen wußte. Jch beneidete die Wolken, durch welche er drang, ich fühlte Eifersucht gegen die Adler, die sich ihm nähern durften. Da schlug er mir vor, ihn zu begleiten, halb scherzend, und war nicht wenig erstaunt, als ich seinen
anfaͤnglich gehegt, wenn ich ihn ſein Leben einem ſo gebrechlichen, duͤnnen Fahrzeuge anvertrauen ſah, ſchwand gaͤnzlich durch die Macht der Gewohnheit. Wie zu einem Spaziergange durch Feld und Flur ſah ich ihn zu jeder neuen Luftfahrt ſich ruͤſten, winkt’ ich ihm laͤchelnd: „viel Vergnuͤgen“ nach, wenn er von muthiger Freude ſtrahlend emporſtieg. Jch liebte ihn mit einer Jnnigkeit, die ſich durch Worte nicht beſchrei- ben laͤßt; ich lebte nur in ihm, nur in meiner Anhaͤng- lichkeit fuͤr ihn. Seine Sanftmuth legte meinen uͤblen Gewohnheiten den mildeſten Zwang auf: ich beſſerte mich, ich wurde gut, weil es mich gluͤcklich machte, ihm zu gehorchen, ihm nachzuſtreben. Jch glaube nicht, daß auf dieſer Erde noch zwei Menſchen leben, die ſo gluͤcklich mit einander ſind, als ich mit ihm war. Wir waren nie getrennt, auch nicht auf Viertelſtun- den, außer wenn er in die Luft ſtieg. Und daß ich, waͤhrend er die blauen Raͤume durchflog, auf der Erde weilen mußte, ohne ihn, blieb die einzige Einwendung, die ich gegen ſeine Wagniſſe vorzubringen wußte. Jch beneidete die Wolken, durch welche er drang, ich fuͤhlte Eiferſucht gegen die Adler, die ſich ihm naͤhern durften. Da ſchlug er mir vor, ihn zu begleiten, halb ſcherzend, und war nicht wenig erſtaunt, als ich ſeinen
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anfaͤnglich gehegt, wenn ich ihn ſein Leben einem ſo
gebrechlichen, duͤnnen Fahrzeuge anvertrauen ſah,
ſchwand gaͤnzlich durch die Macht der Gewohnheit.
Wie zu einem Spaziergange durch Feld und Flur ſah
ich ihn zu jeder neuen Luftfahrt ſich ruͤſten, winkt’ ich
ihm laͤchelnd: „viel Vergnuͤgen“ nach, wenn er von
muthiger Freude ſtrahlend emporſtieg. Jch liebte ihn
mit einer Jnnigkeit, die ſich durch Worte nicht beſchrei-
ben laͤßt; ich lebte nur in ihm, nur in meiner Anhaͤng-
lichkeit fuͤr ihn. Seine Sanftmuth legte meinen uͤblen
Gewohnheiten den mildeſten Zwang auf: ich beſſerte
mich, ich wurde gut, weil es mich gluͤcklich machte,
ihm zu gehorchen, ihm nachzuſtreben. Jch glaube
nicht, daß auf dieſer Erde noch zwei Menſchen leben,
die ſo gluͤcklich mit einander ſind, als ich mit ihm war.
Wir waren nie getrennt, auch nicht auf Viertelſtun-
den, außer wenn er in die Luft ſtieg. Und daß ich,
waͤhrend er die blauen Raͤume durchflog, auf der Erde
weilen mußte, ohne ihn, blieb die einzige Einwendung,
die ich gegen ſeine Wagniſſe vorzubringen wußte.
Jch beneidete die Wolken, durch welche er drang, ich
fuͤhlte Eiferſucht gegen die Adler, die ſich ihm naͤhern
durften. Da ſchlug er mir vor, ihn zu begleiten, halb
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/24>, abgerufen am 16.02.2025.
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