Dichtungen mit den albernen, treuherzigen Stücken vergleiche, die ich damals von der Truppe des großen Samuel und später von den Marionetten meiner Mutter aufführen sah. Bei der Judith muß ich dem Dichter unserer Tage unbedenklich den Sieg zuerken- nen; aber bei seiner Genoveva, obschon der Golo, wie er ihn schuf, eine erhabene Produktion ist, fehlt mir etwas, worin der Zigeuner Samuel den Vorrang hatte; ich meine die Versöhnung. Und wenn ich jemals mit Hebbel zusammenträfe, wollt' ich ihm nicht eher Ruhe gönnen, als bis er mir verspräche, ein Nachspiel hinzuzufügen.
Nun aber, sprechen Sie offen: finden Sie sich durch mein Tagebuch angeregt, es zu verarbeiten?
"Jch weiß," erwiederte ich, "keine bessere Ant- wort auf diese Frage zu ertheilen, als daß ich von sieben Uhr Abends bis drei Uhr Morgens ununterbro- chen fortgelesen habe; und ich erkläre, nur an meiner schlechten Ausführung kann es liegen, wenn unsere künftigen Leser anderer Meinung darüber sind. Aber da Sie mir so viel Vertrauen gönnen, so gestatten Sie mir auch, mich hier, auf dem Schauplatz Jhrer ersten Lebenszeit recht heimisch zu machen. Vor allen
Dichtungen mit den albernen, treuherzigen Stuͤcken vergleiche, die ich damals von der Truppe des großen Samuel und ſpaͤter von den Marionetten meiner Mutter auffuͤhren ſah. Bei der Judith muß ich dem Dichter unſerer Tage unbedenklich den Sieg zuerken- nen; aber bei ſeiner Genoveva, obſchon der Golo, wie er ihn ſchuf, eine erhabene Produktion iſt, fehlt mir etwas, worin der Zigeuner Samuel den Vorrang hatte; ich meine die Verſoͤhnung. Und wenn ich jemals mit Hebbel zuſammentraͤfe, wollt’ ich ihm nicht eher Ruhe goͤnnen, als bis er mir verſpraͤche, ein Nachſpiel hinzuzufuͤgen.
Nun aber, ſprechen Sie offen: finden Sie ſich durch mein Tagebuch angeregt, es zu verarbeiten?
„Jch weiß,“ erwiederte ich, „keine beſſere Ant- wort auf dieſe Frage zu ertheilen, als daß ich von ſieben Uhr Abends bis drei Uhr Morgens ununterbro- chen fortgeleſen habe; und ich erklaͤre, nur an meiner ſchlechten Ausfuͤhrung kann es liegen, wenn unſere kuͤnftigen Leſer anderer Meinung daruͤber ſind. Aber da Sie mir ſo viel Vertrauen goͤnnen, ſo geſtatten Sie mir auch, mich hier, auf dem Schauplatz Jhrer erſten Lebenszeit recht heimiſch zu machen. Vor allen
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Dichtungen mit den albernen, treuherzigen Stuͤcken
vergleiche, die ich damals von der Truppe des großen
Samuel und ſpaͤter von den Marionetten meiner
Mutter auffuͤhren ſah. Bei der Judith muß ich dem
Dichter unſerer Tage unbedenklich den Sieg zuerken-
nen; aber bei ſeiner Genoveva, obſchon der Golo,
wie er ihn ſchuf, eine erhabene Produktion iſt, fehlt
mir etwas, worin der Zigeuner Samuel den Vorrang
hatte; ich meine die Verſoͤhnung. Und wenn ich
jemals mit Hebbel zuſammentraͤfe, wollt’ ich ihm
nicht eher Ruhe goͤnnen, als bis er mir verſpraͤche,
ein Nachſpiel hinzuzufuͤgen.
Nun aber, ſprechen Sie offen: finden Sie ſich
durch mein Tagebuch angeregt, es zu verarbeiten?
„Jch weiß,“ erwiederte ich, „keine beſſere Ant-
wort auf dieſe Frage zu ertheilen, als daß ich von
ſieben Uhr Abends bis drei Uhr Morgens ununterbro-
chen fortgeleſen habe; und ich erklaͤre, nur an meiner
ſchlechten Ausfuͤhrung kann es liegen, wenn unſere
kuͤnftigen Leſer anderer Meinung daruͤber ſind. Aber
da Sie mir ſo viel Vertrauen goͤnnen, ſo geſtatten
Sie mir auch, mich hier, auf dem Schauplatz Jhrer
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/218>, abgerufen am 05.07.2024.
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