sogar wenn sie es thäten, müßte ich sie unter den jetzi- gen Verhältnissen meiden. Was soll ich in jenem Geräusch, wenn es mir keine Freude macht?
Ottilie, gewöhnlich Zeugin dieser Gespräche, hätte gern gehört, daß Hedwig ihren Weigerungen noch ein Wort der Aufforderung für Anton beigefügt, und ihm vorgeschlagen hätte, er, seinerseits, möge allein gehen und Zerstreuungen aufsuchen. Sie war begie- rig, wie er solchen Vorschlag aufgenommen hätte. Doch daran dachte Hedwig nicht. Sie, in ihrer Unschuld, vermochte nicht zu ahnen, daß es außerhalb seines Hauses Freuden für Denjenigen geben könne, ohne welchen es für sie keine Freude gab. Nicht selbstsüchtige Mißgunst, nur Unerfahrenheit ließ sie darüber schweigen. Ottilie jedoch, die aus Antons Mienen las und verstand, was seine Lippen zurück- hielten, suchte Hedwigs Weigerung noch von einer andern Seite zu unterstützen. Sie erklärte sich unum- wunden gegen die Gewohnheit vieler Gutsbesitzer, den Winter über ihrer ländlichen Einsamkeit zu ent- fliehen; sie leitete, mit sehr verständig entwickelten Gründen, aus diesem Gebrauch eine lange Reihe von Mißbräuchen und Uebeln her, die nicht wenig dazu beitrügen, die Angelegenheiten im Kleineren wie im
ſogar wenn ſie es thaͤten, muͤßte ich ſie unter den jetzi- gen Verhaͤltniſſen meiden. Was ſoll ich in jenem Geraͤuſch, wenn es mir keine Freude macht?
Ottilie, gewoͤhnlich Zeugin dieſer Geſpraͤche, haͤtte gern gehoͤrt, daß Hedwig ihren Weigerungen noch ein Wort der Aufforderung fuͤr Anton beigefuͤgt, und ihm vorgeſchlagen haͤtte, er, ſeinerſeits, moͤge allein gehen und Zerſtreuungen aufſuchen. Sie war begie- rig, wie er ſolchen Vorſchlag aufgenommen haͤtte. Doch daran dachte Hedwig nicht. Sie, in ihrer Unſchuld, vermochte nicht zu ahnen, daß es außerhalb ſeines Hauſes Freuden fuͤr Denjenigen geben koͤnne, ohne welchen es fuͤr ſie keine Freude gab. Nicht ſelbſtſuͤchtige Mißgunſt, nur Unerfahrenheit ließ ſie daruͤber ſchweigen. Ottilie jedoch, die aus Antons Mienen las und verſtand, was ſeine Lippen zuruͤck- hielten, ſuchte Hedwigs Weigerung noch von einer andern Seite zu unterſtuͤtzen. Sie erklaͤrte ſich unum- wunden gegen die Gewohnheit vieler Gutsbeſitzer, den Winter uͤber ihrer laͤndlichen Einſamkeit zu ent- fliehen; ſie leitete, mit ſehr verſtaͤndig entwickelten Gruͤnden, aus dieſem Gebrauch eine lange Reihe von Mißbraͤuchen und Uebeln her, die nicht wenig dazu beitruͤgen, die Angelegenheiten im Kleineren wie im
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ſogar wenn ſie es thaͤten, muͤßte ich ſie unter den jetzi-
gen Verhaͤltniſſen meiden. Was ſoll ich in jenem
Geraͤuſch, wenn es mir keine Freude macht?
Ottilie, gewoͤhnlich Zeugin dieſer Geſpraͤche, haͤtte
gern gehoͤrt, daß Hedwig ihren Weigerungen noch
ein Wort der Aufforderung fuͤr Anton beigefuͤgt, und
ihm vorgeſchlagen haͤtte, er, ſeinerſeits, moͤge allein
gehen und Zerſtreuungen aufſuchen. Sie war begie-
rig, wie er ſolchen Vorſchlag aufgenommen haͤtte.
Doch daran dachte Hedwig nicht. Sie, in ihrer
Unſchuld, vermochte nicht zu ahnen, daß es außerhalb
ſeines Hauſes Freuden fuͤr Denjenigen geben koͤnne,
ohne welchen es fuͤr ſie keine Freude gab. Nicht
ſelbſtſuͤchtige Mißgunſt, nur Unerfahrenheit ließ ſie
daruͤber ſchweigen. Ottilie jedoch, die aus Antons
Mienen las und verſtand, was ſeine Lippen zuruͤck-
hielten, ſuchte Hedwigs Weigerung noch von einer
andern Seite zu unterſtuͤtzen. Sie erklaͤrte ſich unum-
wunden gegen die Gewohnheit vieler Gutsbeſitzer,
den Winter uͤber ihrer laͤndlichen Einſamkeit zu ent-
fliehen; ſie leitete, mit ſehr verſtaͤndig entwickelten
Gruͤnden, aus dieſem Gebrauch eine lange Reihe von
Mißbraͤuchen und Uebeln her, die nicht wenig dazu
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/182>, abgerufen am 16.02.2025.
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