müde, -- ach, Fräulein Ottilie, so müde! .. und das Erste was mein Auge sieht, in jener Kammer d'rin, wo ich so oft um Sie geweint, das ist meine Taube, mein Käfig, meine Reime. --
Nehmen Sie mir's weiter nicht ungnädig; wie ich das erblickte, dacht' ich bei mir: sie hat dich lieb gehabt ... und sie hat dich noch lieb! Doch ich war der arme Vagabund, der zu Jhnen von solchen Din- gen nicht reden durfte; dem Sie den Mund versiegelt hatten, mit Jhrem Abschiedskusse auf der Mutter Grabe ... Folglich that ich wie Unverstand und ging wieder. Nun schüttet der Himmel ein ganzes Füllhorn reicher Gaben über mich aus, daß ich ver- dutzt um mich her schaue; und Gräfin Julia führt mich in Onkel Nasus altes Schloß, spricht zu mir: ich bin Deine Mutter und dies Schloß ist Dein! -- Fräulein Ottilie, da war's, wie wenn die Turtel- taube noch einmal auflebte und gurrte: "Tiele- tunke!" -- So bin ich also hierher gekommen, zu fragen, ob ich mich nicht getäuscht habe? zu fragen, ob -- die Taube Recht hat? Und ob Ottilie Liebenau für ihr Eigenthum, und seinen gegenwärtigen Be- sitzer mit in den Kauf annehmen will?
"Jch habe Sie erwartet, Anton. Auch diesen
muͤde, — ach, Fraͤulein Ottilie, ſo muͤde! .. und das Erſte was mein Auge ſieht, in jener Kammer d’rin, wo ich ſo oft um Sie geweint, das iſt meine Taube, mein Kaͤfig, meine Reime. —
Nehmen Sie mir’s weiter nicht ungnaͤdig; wie ich das erblickte, dacht’ ich bei mir: ſie hat dich lieb gehabt ... und ſie hat dich noch lieb! Doch ich war der arme Vagabund, der zu Jhnen von ſolchen Din- gen nicht reden durfte; dem Sie den Mund verſiegelt hatten, mit Jhrem Abſchiedskuſſe auf der Mutter Grabe ... Folglich that ich wie Unverſtand und ging wieder. Nun ſchuͤttet der Himmel ein ganzes Fuͤllhorn reicher Gaben uͤber mich aus, daß ich ver- dutzt um mich her ſchaue; und Graͤfin Julia fuͤhrt mich in Onkel Naſus altes Schloß, ſpricht zu mir: ich bin Deine Mutter und dies Schloß iſt Dein! — Fraͤulein Ottilie, da war’s, wie wenn die Turtel- taube noch einmal auflebte und gurrte: „Tiele- tunke!“ — So bin ich alſo hierher gekommen, zu fragen, ob ich mich nicht getaͤuſcht habe? zu fragen, ob — die Taube Recht hat? Und ob Ottilie Liebenau fuͤr ihr Eigenthum, und ſeinen gegenwaͤrtigen Be- ſitzer mit in den Kauf annehmen will?
„Jch habe Sie erwartet, Anton. Auch dieſen
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muͤde, — ach, Fraͤulein Ottilie, ſo muͤde! .. und
das Erſte was mein Auge ſieht, in jener Kammer
d’rin, wo ich ſo oft um Sie geweint, das iſt meine
Taube, mein Kaͤfig, meine Reime. —
Nehmen Sie mir’s weiter nicht ungnaͤdig; wie
ich das erblickte, dacht’ ich bei mir: ſie hat dich lieb
gehabt ... und ſie hat dich noch lieb! Doch ich war
der arme Vagabund, der zu Jhnen von ſolchen Din-
gen nicht reden durfte; dem Sie den Mund verſiegelt
hatten, mit Jhrem Abſchiedskuſſe auf der Mutter
Grabe ... Folglich that ich wie Unverſtand und
ging wieder. Nun ſchuͤttet der Himmel ein ganzes
Fuͤllhorn reicher Gaben uͤber mich aus, daß ich ver-
dutzt um mich her ſchaue; und Graͤfin Julia fuͤhrt
mich in Onkel Naſus altes Schloß, ſpricht zu mir: ich
bin Deine Mutter und dies Schloß iſt Dein! —
Fraͤulein Ottilie, da war’s, wie wenn die Turtel-
taube noch einmal auflebte und gurrte: „Tiele-
tunke!“ — So bin ich alſo hierher gekommen, zu
fragen, ob ich mich nicht getaͤuſcht habe? zu fragen,
ob — die Taube Recht hat? Und ob Ottilie Liebenau
fuͤr ihr Eigenthum, und ſeinen gegenwaͤrtigen Be-
ſitzer mit in den Kauf annehmen will?
„Jch habe Sie erwartet, Anton. Auch dieſen
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/125>, abgerufen am 05.07.2024.
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