Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852.Hier, in diesem Zimmer, gnädiges Fräulein, ist Kurz vor ihrem Tode sind Sie gekommen, die Hier, in dieſem Zimmer, gnaͤdiges Fraͤulein, iſt Kurz vor ihrem Tode ſind Sie gekommen, die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0124" n="120"/> <p>Hier, in dieſem Zimmer, gnaͤdiges Fraͤulein, iſt<lb/> meine Großmutter geſtorben.</p><lb/> <p>Kurz vor ihrem Tode ſind Sie gekommen, die<lb/> alte Frau zu beſuchen, ihr ein Labſal zu bringen,<lb/> Abſchied von ihr zu nehmen. Bei’m Weggehn hat<lb/> es ſich gefuͤgt, daß Sie meine Turteltaube lobten,<lb/> das Thierchen zu beſitzen wuͤnſchten. Dann wieder<lb/> hat es ſich ſo gefuͤgt, daß Jhr Herr Vater, der Baron<lb/> und meine Großmutter, die Kantorswittwe in einer<lb/> und derſelben Stunde zur Ruhe beſtattet wurden.<lb/> Am Grabe meiner Wohlthaͤterin haben Sie mir Lebe-<lb/> wohl geſagt. Seitdem haben wir uns nicht wieder<lb/> geſehen. Wie ich Liebenau verlaſſen mußte, trug ich<lb/> Jhnen die Taube auf’s Schloß mit ein paar gereim-<lb/> ten Zeilen — dann lief ich fort. Da ſind denn Jahre<lb/> vergangen, ich hab’ vielerlei erlebt, Gutes und<lb/> Schlimmes; hab’ vielerlei gethan, — leider mehr<lb/> Schlimmes, als Gutes ... aber im Herzen bin ich<lb/> eigentlich unveraͤndert geblieben; bin immer noch der<lb/> Anton von damals. Alſo hat mich’s denn auch wie-<lb/> der hierher getrieben, nach meiner Heimath, wo mir<lb/> der Friede bluͤhte; wo meine Kindertraͤume wandeln;<lb/> wo meiner Jugend erſte Liebe aus jedem Strauche<lb/> guckt. Hierher! Und da treff’ ich nun ein, matt und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [120/0124]
Hier, in dieſem Zimmer, gnaͤdiges Fraͤulein, iſt
meine Großmutter geſtorben.
Kurz vor ihrem Tode ſind Sie gekommen, die
alte Frau zu beſuchen, ihr ein Labſal zu bringen,
Abſchied von ihr zu nehmen. Bei’m Weggehn hat
es ſich gefuͤgt, daß Sie meine Turteltaube lobten,
das Thierchen zu beſitzen wuͤnſchten. Dann wieder
hat es ſich ſo gefuͤgt, daß Jhr Herr Vater, der Baron
und meine Großmutter, die Kantorswittwe in einer
und derſelben Stunde zur Ruhe beſtattet wurden.
Am Grabe meiner Wohlthaͤterin haben Sie mir Lebe-
wohl geſagt. Seitdem haben wir uns nicht wieder
geſehen. Wie ich Liebenau verlaſſen mußte, trug ich
Jhnen die Taube auf’s Schloß mit ein paar gereim-
ten Zeilen — dann lief ich fort. Da ſind denn Jahre
vergangen, ich hab’ vielerlei erlebt, Gutes und
Schlimmes; hab’ vielerlei gethan, — leider mehr
Schlimmes, als Gutes ... aber im Herzen bin ich
eigentlich unveraͤndert geblieben; bin immer noch der
Anton von damals. Alſo hat mich’s denn auch wie-
der hierher getrieben, nach meiner Heimath, wo mir
der Friede bluͤhte; wo meine Kindertraͤume wandeln;
wo meiner Jugend erſte Liebe aus jedem Strauche
guckt. Hierher! Und da treff’ ich nun ein, matt und
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