Hier, in diesem Zimmer, gnädiges Fräulein, ist meine Großmutter gestorben.
Kurz vor ihrem Tode sind Sie gekommen, die alte Frau zu besuchen, ihr ein Labsal zu bringen, Abschied von ihr zu nehmen. Bei'm Weggehn hat es sich gefügt, daß Sie meine Turteltaube lobten, das Thierchen zu besitzen wünschten. Dann wieder hat es sich so gefügt, daß Jhr Herr Vater, der Baron und meine Großmutter, die Kantorswittwe in einer und derselben Stunde zur Ruhe bestattet wurden. Am Grabe meiner Wohlthäterin haben Sie mir Lebe- wohl gesagt. Seitdem haben wir uns nicht wieder gesehen. Wie ich Liebenau verlassen mußte, trug ich Jhnen die Taube auf's Schloß mit ein paar gereim- ten Zeilen -- dann lief ich fort. Da sind denn Jahre vergangen, ich hab' vielerlei erlebt, Gutes und Schlimmes; hab' vielerlei gethan, -- leider mehr Schlimmes, als Gutes ... aber im Herzen bin ich eigentlich unverändert geblieben; bin immer noch der Anton von damals. Also hat mich's denn auch wie- der hierher getrieben, nach meiner Heimath, wo mir der Friede blühte; wo meine Kinderträume wandeln; wo meiner Jugend erste Liebe aus jedem Strauche guckt. Hierher! Und da treff' ich nun ein, matt und
Hier, in dieſem Zimmer, gnaͤdiges Fraͤulein, iſt meine Großmutter geſtorben.
Kurz vor ihrem Tode ſind Sie gekommen, die alte Frau zu beſuchen, ihr ein Labſal zu bringen, Abſchied von ihr zu nehmen. Bei’m Weggehn hat es ſich gefuͤgt, daß Sie meine Turteltaube lobten, das Thierchen zu beſitzen wuͤnſchten. Dann wieder hat es ſich ſo gefuͤgt, daß Jhr Herr Vater, der Baron und meine Großmutter, die Kantorswittwe in einer und derſelben Stunde zur Ruhe beſtattet wurden. Am Grabe meiner Wohlthaͤterin haben Sie mir Lebe- wohl geſagt. Seitdem haben wir uns nicht wieder geſehen. Wie ich Liebenau verlaſſen mußte, trug ich Jhnen die Taube auf’s Schloß mit ein paar gereim- ten Zeilen — dann lief ich fort. Da ſind denn Jahre vergangen, ich hab’ vielerlei erlebt, Gutes und Schlimmes; hab’ vielerlei gethan, — leider mehr Schlimmes, als Gutes ... aber im Herzen bin ich eigentlich unveraͤndert geblieben; bin immer noch der Anton von damals. Alſo hat mich’s denn auch wie- der hierher getrieben, nach meiner Heimath, wo mir der Friede bluͤhte; wo meine Kindertraͤume wandeln; wo meiner Jugend erſte Liebe aus jedem Strauche guckt. Hierher! Und da treff’ ich nun ein, matt und
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Hier, in dieſem Zimmer, gnaͤdiges Fraͤulein, iſt
meine Großmutter geſtorben.
Kurz vor ihrem Tode ſind Sie gekommen, die
alte Frau zu beſuchen, ihr ein Labſal zu bringen,
Abſchied von ihr zu nehmen. Bei’m Weggehn hat
es ſich gefuͤgt, daß Sie meine Turteltaube lobten,
das Thierchen zu beſitzen wuͤnſchten. Dann wieder
hat es ſich ſo gefuͤgt, daß Jhr Herr Vater, der Baron
und meine Großmutter, die Kantorswittwe in einer
und derſelben Stunde zur Ruhe beſtattet wurden.
Am Grabe meiner Wohlthaͤterin haben Sie mir Lebe-
wohl geſagt. Seitdem haben wir uns nicht wieder
geſehen. Wie ich Liebenau verlaſſen mußte, trug ich
Jhnen die Taube auf’s Schloß mit ein paar gereim-
ten Zeilen — dann lief ich fort. Da ſind denn Jahre
vergangen, ich hab’ vielerlei erlebt, Gutes und
Schlimmes; hab’ vielerlei gethan, — leider mehr
Schlimmes, als Gutes ... aber im Herzen bin ich
eigentlich unveraͤndert geblieben; bin immer noch der
Anton von damals. Alſo hat mich’s denn auch wie-
der hierher getrieben, nach meiner Heimath, wo mir
der Friede bluͤhte; wo meine Kindertraͤume wandeln;
wo meiner Jugend erſte Liebe aus jedem Strauche
guckt. Hierher! Und da treff’ ich nun ein, matt und
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/124>, abgerufen am 26.07.2024.
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