den letzten Willen Deiner Mutter befolgst. Er besteht darin: Du verlässest, sobald meine irdischen Ueberreste beerdiget und Deine Verpflichtungen gegen den alten Mann erfüllt sind, der Dir Gelegenheit gönnte, Dei- ner Mutter die letzten Liebesdienste zu erweisen, die- ses Städtchen; verlässest es, ohne Dich vorher noch einmal bei Hedwig oder deren Vater zu zeigen. Wie Du mir den adel- und soldatenstolzen Rittmeister geschildert, würde für jetzt jeder Schritt nutzlos blei- ben und das arme Mädchen nur noch unglücklicher, ihr den Kampf zwischen Liebe und Pflicht nur noch heißer machen. Begieb Dich alsogleich auf die Reise! Der blaue Papierumschlag, der ebenfalls beigelegt ist, enthält außer einigen in Banknoten umgesetzten, redlich für Dich ersparten Thalern (zu Deiner Aus- staffirung), ein versiegeltes Schreiben an die Gräfin Julie Erlenstein. Dieses bringe ihr selbst; trage Sorge, daß man Dich bei ihr vorläßt; frage nicht nach Deinem Vater, frage nur nach der Gräfin. Jch weiß, daß sie noch lebt. Jhr, nur ihr allein über- gieb den Brief -- und lasse Gott walten."
Jetzt hab' ich nichts mehr zu schreiben und könnte es auch nicht, denn ich fühle mich sterben. Jch hoffe noch Kräfte zu erschwingen, um dies Packet zusammen
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den letzten Willen Deiner Mutter befolgſt. Er beſteht darin: Du verlaͤſſeſt, ſobald meine irdiſchen Ueberreſte beerdiget und Deine Verpflichtungen gegen den alten Mann erfuͤllt ſind, der Dir Gelegenheit goͤnnte, Dei- ner Mutter die letzten Liebesdienſte zu erweiſen, die- ſes Staͤdtchen; verlaͤſſeſt es, ohne Dich vorher noch einmal bei Hedwig oder deren Vater zu zeigen. Wie Du mir den adel- und ſoldatenſtolzen Rittmeiſter geſchildert, wuͤrde fuͤr jetzt jeder Schritt nutzlos blei- ben und das arme Maͤdchen nur noch ungluͤcklicher, ihr den Kampf zwiſchen Liebe und Pflicht nur noch heißer machen. Begieb Dich alſogleich auf die Reiſe! Der blaue Papierumſchlag, der ebenfalls beigelegt iſt, enthaͤlt außer einigen in Banknoten umgeſetzten, redlich fuͤr Dich erſparten Thalern (zu Deiner Aus- ſtaffirung), ein verſiegeltes Schreiben an die Graͤfin Julie Erlenſtein. Dieſes bringe ihr ſelbſt; trage Sorge, daß man Dich bei ihr vorlaͤßt; frage nicht nach Deinem Vater, frage nur nach der Graͤfin. Jch weiß, daß ſie noch lebt. Jhr, nur ihr allein uͤber- gieb den Brief — und laſſe Gott walten.“
Jetzt hab’ ich nichts mehr zu ſchreiben und koͤnnte es auch nicht, denn ich fuͤhle mich ſterben. Jch hoffe noch Kraͤfte zu erſchwingen, um dies Packet zuſammen
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den letzten Willen Deiner Mutter befolgſt. Er beſteht
darin: Du verlaͤſſeſt, ſobald meine irdiſchen Ueberreſte
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Mann erfuͤllt ſind, der Dir Gelegenheit goͤnnte, Dei-
ner Mutter die letzten Liebesdienſte zu erweiſen, die-
ſes Staͤdtchen; verlaͤſſeſt es, ohne Dich vorher noch
einmal bei Hedwig oder deren Vater zu zeigen. Wie
Du mir den adel- und ſoldatenſtolzen Rittmeiſter
geſchildert, wuͤrde fuͤr jetzt jeder Schritt nutzlos blei-
ben und das arme Maͤdchen nur noch ungluͤcklicher,
ihr den Kampf zwiſchen Liebe und Pflicht nur noch
heißer machen. Begieb Dich alſogleich auf die Reiſe!
Der blaue Papierumſchlag, der ebenfalls beigelegt
iſt, enthaͤlt außer einigen in Banknoten umgeſetzten,
redlich fuͤr Dich erſparten Thalern (zu Deiner Aus-
ſtaffirung), ein verſiegeltes Schreiben an die Graͤfin
Julie Erlenſtein. Dieſes bringe ihr ſelbſt; trage
Sorge, daß man Dich bei ihr vorlaͤßt; frage nicht
nach Deinem Vater, frage nur nach der Graͤfin. Jch
weiß, daß ſie noch lebt. Jhr, nur ihr allein uͤber-
gieb den Brief — und laſſe Gott walten.“
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/279>, abgerufen am 17.02.2025.
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