tiget und verpflichtet war; indem er mir mit aufrich- tigen Thränen schilderte, wie er nur ihre Gräber besuchen können; führte ihn der Fortgang seiner Reise- berichte auch nach Liebenau zum Oheim, dem alten Pastor Karich. Mit der ihm eigenen Lebendigkeit, mit seinem Talent, dem Hörer Menschen und Umge- bungen anschaulich zu machen, beschrieb er mir sei- nen Oheim, die Neffen, das Schloß, den Gutsherrn, dessen drei Töchter, die Wälder um's Dorf, den lan- gen Spaziergang, die Weinlaube, den lauen Som- mer-Abend bei kühlem Trunke, den schönen Korb- macherjungen, der ihn durch den Vortrag einer alten Melodie auf der Geige gerührt habe ....
Schon wie er von der Großmutter dieses jungen Burschen gesprochen, an deren Häuschen sie, das Dorf entlang vorbeizogen, und wo die Fräulein bestellten: "Anton" solle auf's Schloß kommen, sobald er aus dem Walde heimkehre; -- schon wie er mir die alte Frau mit Worten malte, meinte ich in diesem Bilde meine Mutter zu erkennen. Später, da er auf Dich kam, blieb mir fast kein Zweifel mehr, daß dieser Anton mein Anton, derselbe sei, den ich mit der Melodie von den drei Reitern so oft in Schlaf gesungen! Ja, er war es, er mußte es sein. "Mein
tiget und verpflichtet war; indem er mir mit aufrich- tigen Thraͤnen ſchilderte, wie er nur ihre Graͤber beſuchen koͤnnen; fuͤhrte ihn der Fortgang ſeiner Reiſe- berichte auch nach Liebenau zum Oheim, dem alten Paſtor Karich. Mit der ihm eigenen Lebendigkeit, mit ſeinem Talent, dem Hoͤrer Menſchen und Umge- bungen anſchaulich zu machen, beſchrieb er mir ſei- nen Oheim, die Neffen, das Schloß, den Gutsherrn, deſſen drei Toͤchter, die Waͤlder um’s Dorf, den lan- gen Spaziergang, die Weinlaube, den lauen Som- mer-Abend bei kuͤhlem Trunke, den ſchoͤnen Korb- macherjungen, der ihn durch den Vortrag einer alten Melodie auf der Geige geruͤhrt habe ....
Schon wie er von der Großmutter dieſes jungen Burſchen geſprochen, an deren Haͤuschen ſie, das Dorf entlang vorbeizogen, und wo die Fraͤulein beſtellten: „Anton“ ſolle auf’s Schloß kommen, ſobald er aus dem Walde heimkehre; — ſchon wie er mir die alte Frau mit Worten malte, meinte ich in dieſem Bilde meine Mutter zu erkennen. Spaͤter, da er auf Dich kam, blieb mir faſt kein Zweifel mehr, daß dieſer Anton mein Anton, derſelbe ſei, den ich mit der Melodie von den drei Reitern ſo oft in Schlaf geſungen! Ja, er war es, er mußte es ſein. „Mein
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0267"n="263"/>
tiget und verpflichtet war; indem er mir mit aufrich-<lb/>
tigen Thraͤnen ſchilderte, wie er nur ihre Graͤber<lb/>
beſuchen koͤnnen; fuͤhrte ihn der Fortgang ſeiner Reiſe-<lb/>
berichte auch nach Liebenau zum Oheim, dem alten<lb/>
Paſtor Karich. Mit der ihm eigenen Lebendigkeit,<lb/>
mit ſeinem Talent, dem Hoͤrer Menſchen und Umge-<lb/>
bungen anſchaulich zu machen, beſchrieb er mir ſei-<lb/>
nen Oheim, die Neffen, das Schloß, den Gutsherrn,<lb/>
deſſen drei Toͤchter, die Waͤlder um’s Dorf, den lan-<lb/>
gen Spaziergang, die Weinlaube, den lauen Som-<lb/>
mer-Abend bei kuͤhlem Trunke, den ſchoͤnen Korb-<lb/>
macherjungen, der ihn durch den Vortrag einer alten<lb/>
Melodie auf der Geige geruͤhrt habe ....</p><lb/><p>Schon wie er von der Großmutter dieſes jungen<lb/>
Burſchen geſprochen, an deren Haͤuschen ſie, das<lb/>
Dorf entlang vorbeizogen, und wo die Fraͤulein<lb/>
beſtellten: <hirendition="#g">„Anton“</hi>ſolle auf’s Schloß kommen,<lb/>ſobald er aus dem Walde heimkehre; —ſchon wie<lb/>
er mir die alte Frau mit Worten malte, meinte ich<lb/>
in dieſem Bilde meine Mutter zu erkennen. Spaͤter,<lb/>
da er auf Dich kam, blieb mir faſt kein Zweifel mehr,<lb/>
daß dieſer Anton <hirendition="#g">mein</hi> Anton, derſelbe ſei, den ich<lb/>
mit der Melodie von den drei Reitern ſo oft in Schlaf<lb/>
geſungen! Ja, <hirendition="#g">er</hi> war es, er mußte es ſein. „Mein<lb/></p></div></body></text></TEI>
[263/0267]
tiget und verpflichtet war; indem er mir mit aufrich-
tigen Thraͤnen ſchilderte, wie er nur ihre Graͤber
beſuchen koͤnnen; fuͤhrte ihn der Fortgang ſeiner Reiſe-
berichte auch nach Liebenau zum Oheim, dem alten
Paſtor Karich. Mit der ihm eigenen Lebendigkeit,
mit ſeinem Talent, dem Hoͤrer Menſchen und Umge-
bungen anſchaulich zu machen, beſchrieb er mir ſei-
nen Oheim, die Neffen, das Schloß, den Gutsherrn,
deſſen drei Toͤchter, die Waͤlder um’s Dorf, den lan-
gen Spaziergang, die Weinlaube, den lauen Som-
mer-Abend bei kuͤhlem Trunke, den ſchoͤnen Korb-
macherjungen, der ihn durch den Vortrag einer alten
Melodie auf der Geige geruͤhrt habe ....
Schon wie er von der Großmutter dieſes jungen
Burſchen geſprochen, an deren Haͤuschen ſie, das
Dorf entlang vorbeizogen, und wo die Fraͤulein
beſtellten: „Anton“ ſolle auf’s Schloß kommen,
ſobald er aus dem Walde heimkehre; — ſchon wie
er mir die alte Frau mit Worten malte, meinte ich
in dieſem Bilde meine Mutter zu erkennen. Spaͤter,
da er auf Dich kam, blieb mir faſt kein Zweifel mehr,
daß dieſer Anton mein Anton, derſelbe ſei, den ich
mit der Melodie von den drei Reitern ſo oft in Schlaf
geſungen! Ja, er war es, er mußte es ſein. „Mein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/267>, abgerufen am 22.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.