fühlte. "Jch liebe Dich!" hieß ihr Losungswort. Und an dieses knüpfte sich eine Fülle anderer Worte, reich an Wohllaut und Kraft, wie nur die Liebe sie erfindet, die aber arm und kalt klingen, wenn eine Feder sie nachschreiben will.
"Sie stirbt; weiß Gott, sie stirbt! Sie will ihn noch einmal sehen; ist er hier?" Dieser furchtbare Ausruf schreckte eines Tages die Glücklichen ausein- ander. Mit wahnsinnigen Blicken eines aus seinem Taumel aufgestörten Trunkenboldes polterte der greise Puppenspieler durch die eine Thür in's Zim- mer. Anton, Hedwig in seinen Armen haltend, fuhr auf und sah jetzt erst, daß auch die andere Thür offen stand. Jn seinen Soldaten-Mantel gehüllt, einen Säbel in der Rechten, schwankte der Rittmeister her- ein. Er hatte unbemerkt das Gespräch der Lieben- den belauscht.
"Elender," schrie er, den Säbel zückend, nach Anton gewendet: "Verräther, Verführer! Du ver- dientest den Tod; doch verdienst Du nicht von der Hand eines Braven zu sterben. Und Du Hedwig, wähle: Du ziehst mit ihm, und hast keinen Vater mehr! Oder Du folg'st mir, kehrst ihm den Rücken und er betritt nimmer diese Schwelle!"
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fuͤhlte. „Jch liebe Dich!“ hieß ihr Loſungswort. Und an dieſes knuͤpfte ſich eine Fuͤlle anderer Worte, reich an Wohllaut und Kraft, wie nur die Liebe ſie erfindet, die aber arm und kalt klingen, wenn eine Feder ſie nachſchreiben will.
„Sie ſtirbt; weiß Gott, ſie ſtirbt! Sie will ihn noch einmal ſehen; iſt er hier?“ Dieſer furchtbare Ausruf ſchreckte eines Tages die Gluͤcklichen ausein- ander. Mit wahnſinnigen Blicken eines aus ſeinem Taumel aufgeſtoͤrten Trunkenboldes polterte der greiſe Puppenſpieler durch die eine Thuͤr in’s Zim- mer. Anton, Hedwig in ſeinen Armen haltend, fuhr auf und ſah jetzt erſt, daß auch die andere Thuͤr offen ſtand. Jn ſeinen Soldaten-Mantel gehuͤllt, einen Saͤbel in der Rechten, ſchwankte der Rittmeiſter her- ein. Er hatte unbemerkt das Geſpraͤch der Lieben- den belauſcht.
„Elender,“ ſchrie er, den Saͤbel zuͤckend, nach Anton gewendet: „Verraͤther, Verfuͤhrer! Du ver- dienteſt den Tod; doch verdienſt Du nicht von der Hand eines Braven zu ſterben. Und Du Hedwig, waͤhle: Du ziehſt mit ihm, und haſt keinen Vater mehr! Oder Du folg’ſt mir, kehrſt ihm den Ruͤcken und er betritt nimmer dieſe Schwelle!“
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fuͤhlte. „Jch liebe Dich!“ hieß ihr Loſungswort.
Und an dieſes knuͤpfte ſich eine Fuͤlle anderer Worte,
reich an Wohllaut und Kraft, wie nur die Liebe ſie
erfindet, die aber arm und kalt klingen, wenn eine
Feder ſie nachſchreiben will.
„Sie ſtirbt; weiß Gott, ſie ſtirbt! Sie will ihn
noch einmal ſehen; iſt er hier?“ Dieſer furchtbare
Ausruf ſchreckte eines Tages die Gluͤcklichen ausein-
ander. Mit wahnſinnigen Blicken eines aus ſeinem
Taumel aufgeſtoͤrten Trunkenboldes polterte der
greiſe Puppenſpieler durch die eine Thuͤr in’s Zim-
mer. Anton, Hedwig in ſeinen Armen haltend, fuhr
auf und ſah jetzt erſt, daß auch die andere Thuͤr offen
ſtand. Jn ſeinen Soldaten-Mantel gehuͤllt, einen
Saͤbel in der Rechten, ſchwankte der Rittmeiſter her-
ein. Er hatte unbemerkt das Geſpraͤch der Lieben-
den belauſcht.
„Elender,“ ſchrie er, den Saͤbel zuͤckend, nach
Anton gewendet: „Verraͤther, Verfuͤhrer! Du ver-
dienteſt den Tod; doch verdienſt Du nicht von der
Hand eines Braven zu ſterben. Und Du Hedwig,
waͤhle: Du ziehſt mit ihm, und haſt keinen Vater
mehr! Oder Du folg’ſt mir, kehrſt ihm den Ruͤcken
und er betritt nimmer dieſe Schwelle!“
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/215>, abgerufen am 26.07.2024.
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