Von einem der flüchtigen Abendspaziergänge heim- kehrend, findet er seine theilnehmenden Wirthsleute ängstlich, einsilbig, unruhig. Er sieht ihnen an, daß sie ihm eine Mittheilung machen möchten, daß sie es nicht wagen. Hastig dringt er in sie und vernimmt nach langem Zögern: ein Mann von unheilverkün- dendem Aussehn ist da gewesen, hat streng-forschend nach einem jungen Menschen sich erkundiget, welcher von den barmherzigen Schwestern hier eingemiethet sei und er will noch diesen Abend wiederkehren.
So ist es denn um mich geschehen, ruft Anton. Lebt wohl ihr guten Freunde, Gott sei mit Euch und lohne eure Liebe für mich; und wenn Schwester Antonina nach mir zu fragen käme, bestellt ihr meine Grüße, meldet ihr: Anton schmachte im Gefängniß!
"Jm Gefängniß!" wiederholten beide Alte, zwischen Widerwillen und Mitleid getheilt; "Sie? im Gefängniß!"
Zugleich öffnet sich die Thür; jenes hämische Gesicht erscheint vor ihnen, welches Anton erblickt zu haben sich erinnert, als er, um seinen rasenden Hun- ger zu stillen, einer Trödlerin das schwarze seidene Halstuch zum Verkaufe darbot.
Von einem der fluͤchtigen Abendſpaziergaͤnge heim- kehrend, findet er ſeine theilnehmenden Wirthsleute aͤngſtlich, einſilbig, unruhig. Er ſieht ihnen an, daß ſie ihm eine Mittheilung machen moͤchten, daß ſie es nicht wagen. Haſtig dringt er in ſie und vernimmt nach langem Zoͤgern: ein Mann von unheilverkuͤn- dendem Ausſehn iſt da geweſen, hat ſtreng-forſchend nach einem jungen Menſchen ſich erkundiget, welcher von den barmherzigen Schweſtern hier eingemiethet ſei und er will noch dieſen Abend wiederkehren.
So iſt es denn um mich geſchehen, ruft Anton. Lebt wohl ihr guten Freunde, Gott ſei mit Euch und lohne eure Liebe fuͤr mich; und wenn Schweſter Antonina nach mir zu fragen kaͤme, beſtellt ihr meine Gruͤße, meldet ihr: Anton ſchmachte im Gefaͤngniß!
„Jm Gefaͤngniß!“ wiederholten beide Alte, zwiſchen Widerwillen und Mitleid getheilt; „Sie? im Gefaͤngniß!“
Zugleich oͤffnet ſich die Thuͤr; jenes haͤmiſche Geſicht erſcheint vor ihnen, welches Anton erblickt zu haben ſich erinnert, als er, um ſeinen raſenden Hun- ger zu ſtillen, einer Troͤdlerin das ſchwarze ſeidene Halstuch zum Verkaufe darbot.
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Von einem der fluͤchtigen Abendſpaziergaͤnge heim-
kehrend, findet er ſeine theilnehmenden Wirthsleute
aͤngſtlich, einſilbig, unruhig. Er ſieht ihnen an, daß
ſie ihm eine Mittheilung machen moͤchten, daß ſie es
nicht wagen. Haſtig dringt er in ſie und vernimmt
nach langem Zoͤgern: ein Mann von unheilverkuͤn-
dendem Ausſehn iſt da geweſen, hat ſtreng-forſchend
nach einem jungen Menſchen ſich erkundiget, welcher
von den barmherzigen Schweſtern hier eingemiethet
ſei und er will noch dieſen Abend wiederkehren.
So iſt es denn um mich geſchehen, ruft Anton.
Lebt wohl ihr guten Freunde, Gott ſei mit Euch und
lohne eure Liebe fuͤr mich; und wenn Schweſter
Antonina nach mir zu fragen kaͤme, beſtellt ihr meine
Gruͤße, meldet ihr: Anton ſchmachte im Gefaͤngniß!
„Jm Gefaͤngniß!“ wiederholten beide Alte,
zwiſchen Widerwillen und Mitleid getheilt; „Sie?
im Gefaͤngniß!“
Zugleich oͤffnet ſich die Thuͤr; jenes haͤmiſche
Geſicht erſcheint vor ihnen, welches Anton erblickt zu
haben ſich erinnert, als er, um ſeinen raſenden Hun-
ger zu ſtillen, einer Troͤdlerin das ſchwarze ſeidene
Halstuch zum Verkaufe darbot.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/20>, abgerufen am 05.07.2024.
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