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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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aus schwülen schweren Wolken zucken, daß man lange
darauf warten muß, bis wieder einer leuchtet. Wenn
es aber am lieben Himmel so zu sagen d'rüber und d'run-
ter geht, wie in vergangener Nacht, da verliert sich der
Druck von meinen Nerven und es wird mir völlig
leicht und frei. So lag ich nun und war mit meinen
Gedanken weit weg von M., war in Liebenau bei meiner
unvergeßlichen Großmutter, die mir von früh'ster Kind-
heit an einschärfte, es sei erbärmlich, bei Gefahr-drohen-
den Naturerscheinungen sich abzuängstigen; als ob,
sagte sie, der liebe Gott wenn Er uns suchen wolle, uns
bei heiterem Himmel nicht eben so sicher finden würde!

Jch dachte mich während des furchtbaren Tumul-
tes in der Natur, gleichsam wie zum Gegensatze,
so recht heimlich und kindlich in den stillen Frie-
den unseres Häuschens; überlegte, wie es wohl
dort aussehen, wer darin wohnen möchte! Ob
vielleicht gar mein verehrungswürdiger Herr Kura-
tor? -- Da pochte es an meine Thür und englische
Worte aus Engels-Munde, -- es giebt keinen schö-
neren! -- baten flehentlich, mich anzukleiden und hin-
über zu kommen. Jch gehorchte. Jch fand Madame
Vlämert im saubersten Nachtkleide, vor Schreck und
Furcht weinend; sie war nicht im Stande gewesen,

aus ſchwuͤlen ſchweren Wolken zucken, daß man lange
darauf warten muß, bis wieder einer leuchtet. Wenn
es aber am lieben Himmel ſo zu ſagen d’ruͤber und d’run-
ter geht, wie in vergangener Nacht, da verliert ſich der
Druck von meinen Nerven und es wird mir voͤllig
leicht und frei. So lag ich nun und war mit meinen
Gedanken weit weg von M., war in Liebenau bei meiner
unvergeßlichen Großmutter, die mir von fruͤh’ſter Kind-
heit an einſchaͤrfte, es ſei erbaͤrmlich, bei Gefahr-drohen-
den Naturerſcheinungen ſich abzuaͤngſtigen; als ob,
ſagte ſie, der liebe Gott wenn Er uns ſuchen wolle, uns
bei heiterem Himmel nicht eben ſo ſicher finden wuͤrde!

Jch dachte mich waͤhrend des furchtbaren Tumul-
tes in der Natur, gleichſam wie zum Gegenſatze,
ſo recht heimlich und kindlich in den ſtillen Frie-
den unſeres Haͤuschens; uͤberlegte, wie es wohl
dort ausſehen, wer darin wohnen moͤchte! Ob
vielleicht gar mein verehrungswuͤrdiger Herr Kura-
tor? — Da pochte es an meine Thuͤr und engliſche
Worte aus Engels-Munde, — es giebt keinen ſchoͤ-
neren! — baten flehentlich, mich anzukleiden und hin-
uͤber zu kommen. Jch gehorchte. Jch fand Madame
Vlaͤmert im ſauberſten Nachtkleide, vor Schreck und
Furcht weinend; ſie war nicht im Stande geweſen,

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[232/0234] aus ſchwuͤlen ſchweren Wolken zucken, daß man lange darauf warten muß, bis wieder einer leuchtet. Wenn es aber am lieben Himmel ſo zu ſagen d’ruͤber und d’run- ter geht, wie in vergangener Nacht, da verliert ſich der Druck von meinen Nerven und es wird mir voͤllig leicht und frei. So lag ich nun und war mit meinen Gedanken weit weg von M., war in Liebenau bei meiner unvergeßlichen Großmutter, die mir von fruͤh’ſter Kind- heit an einſchaͤrfte, es ſei erbaͤrmlich, bei Gefahr-drohen- den Naturerſcheinungen ſich abzuaͤngſtigen; als ob, ſagte ſie, der liebe Gott wenn Er uns ſuchen wolle, uns bei heiterem Himmel nicht eben ſo ſicher finden wuͤrde! Jch dachte mich waͤhrend des furchtbaren Tumul- tes in der Natur, gleichſam wie zum Gegenſatze, ſo recht heimlich und kindlich in den ſtillen Frie- den unſeres Haͤuschens; uͤberlegte, wie es wohl dort ausſehen, wer darin wohnen moͤchte! Ob vielleicht gar mein verehrungswuͤrdiger Herr Kura- tor? — Da pochte es an meine Thuͤr und engliſche Worte aus Engels-Munde, — es giebt keinen ſchoͤ- neren! — baten flehentlich, mich anzukleiden und hin- uͤber zu kommen. Jch gehorchte. Jch fand Madame Vlaͤmert im ſauberſten Nachtkleide, vor Schreck und Furcht weinend; ſie war nicht im Stande geweſen,

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/234>, abgerufen am 23.11.2024.