geliehen; wo ich auf Schwierigkeiten stoße, erklärt er mir den Sinn. Er bossirt jetzt gerade eine Gruppe aus einem englischen Trauerspiele, für welche er sich die Portraits der Akteurs, die er zu London darin auftreten sah, mitgebracht. Das Stück ist von Herrn Shakespear geschrieben und heißt Othello. Dieser letztere ist ein eifersüchtiger Maure, oder Mohr, der seine unschuldige Frau umbringt. Diesen Auftritt hat Herr Vlämert gewählt für die neue Gruppe; wahrscheinlich, weil er meint, daß es für die Franzo- sen nicht blutig genug zugehen kann. Die Tragödie ist auch wirklich höchst fürchterlich. Das Ehepaar that mir erbärmlich leid, wie ich sein trauriges Schick- sal las; es ist Alles so natürlich geschildert, daß man die handelnden Personen vor sich sieht, wie Menschen die man kennt. Nur damit bin ich nicht einverstan- den, daß der Bösewicht, der das ganze Unglück braut', ein gewisser Jago mit Namen, so häufig selbst sagt: er wolle schlecht handeln; es sei sein Wille ein Böse- wicht zu sein! Wahrscheinlich hab' ich Unrecht und der Dichter muß das besser verstehen; doch bisher hab' ich immer geglaubt, wer Böses thun will, suche sich's als gut vorzumalen und bemühe sich um Ent- schuldigungs-Gründe gegen sein eigenes Gewissen.
geliehen; wo ich auf Schwierigkeiten ſtoße, erklaͤrt er mir den Sinn. Er boſſirt jetzt gerade eine Gruppe aus einem engliſchen Trauerſpiele, fuͤr welche er ſich die Portraits der Akteurs, die er zu London darin auftreten ſah, mitgebracht. Das Stuͤck iſt von Herrn Shakeſpear geſchrieben und heißt Othello. Dieſer letztere iſt ein eiferſuͤchtiger Maure, oder Mohr, der ſeine unſchuldige Frau umbringt. Dieſen Auftritt hat Herr Vlaͤmert gewaͤhlt fuͤr die neue Gruppe; wahrſcheinlich, weil er meint, daß es fuͤr die Franzo- ſen nicht blutig genug zugehen kann. Die Tragoͤdie iſt auch wirklich hoͤchſt fuͤrchterlich. Das Ehepaar that mir erbaͤrmlich leid, wie ich ſein trauriges Schick- ſal las; es iſt Alles ſo natuͤrlich geſchildert, daß man die handelnden Perſonen vor ſich ſieht, wie Menſchen die man kennt. Nur damit bin ich nicht einverſtan- den, daß der Boͤſewicht, der das ganze Ungluͤck braut’, ein gewiſſer Jago mit Namen, ſo haͤufig ſelbſt ſagt: er wolle ſchlecht handeln; es ſei ſein Wille ein Boͤſe- wicht zu ſein! Wahrſcheinlich hab’ ich Unrecht und der Dichter muß das beſſer verſtehen; doch bisher hab’ ich immer geglaubt, wer Boͤſes thun will, ſuche ſich’s als gut vorzumalen und bemuͤhe ſich um Ent- ſchuldigungs-Gruͤnde gegen ſein eigenes Gewiſſen.
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geliehen; wo ich auf Schwierigkeiten ſtoße, erklaͤrt
er mir den Sinn. Er boſſirt jetzt gerade eine Gruppe
aus einem engliſchen Trauerſpiele, fuͤr welche er ſich
die Portraits der Akteurs, die er zu London darin
auftreten ſah, mitgebracht. Das Stuͤck iſt von Herrn
Shakeſpear geſchrieben und heißt Othello. Dieſer
letztere iſt ein eiferſuͤchtiger Maure, oder Mohr, der
ſeine unſchuldige Frau umbringt. Dieſen Auftritt
hat Herr Vlaͤmert gewaͤhlt fuͤr die neue Gruppe;
wahrſcheinlich, weil er meint, daß es fuͤr die Franzo-
ſen nicht blutig genug zugehen kann. Die Tragoͤdie
iſt auch wirklich hoͤchſt fuͤrchterlich. Das Ehepaar
that mir erbaͤrmlich leid, wie ich ſein trauriges Schick-
ſal las; es iſt Alles ſo natuͤrlich geſchildert, daß man
die handelnden Perſonen vor ſich ſieht, wie Menſchen
die man kennt. Nur damit bin ich nicht einverſtan-
den, daß der Boͤſewicht, der das ganze Ungluͤck braut’,
ein gewiſſer Jago mit Namen, ſo haͤufig ſelbſt ſagt:
er wolle ſchlecht handeln; es ſei ſein Wille ein Boͤſe-
wicht zu ſein! Wahrſcheinlich hab’ ich Unrecht und
der Dichter muß das beſſer verſtehen; doch bisher
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ſich’s als gut vorzumalen und bemuͤhe ſich um Ent-
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/228>, abgerufen am 23.11.2024.
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