Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

die entsagende Geduld verloren, die ihn dort im
Gleichgewicht hielt; die ihn sogar bisweilen ohne
Klage wähnen ließ, er sei mit dem Leben fertig.

Mit dem erwachenden Frühling erwachte in ihm
auch wieder das Gefühl seiner Jugend; winterlich-
begrabene Empfindungen entkeimten diesem Gefühle.
Die schwermüthige Erinnerung an Adele verwan-
delte sich in aufregende Sehnsucht nach ihr. Er
wurde den Gedanken nicht los, daß die Jartour ihren
Paß nach Paris ausstellen lassen, wie sein Arzt
beim Gesandten erfahren. Es war ihm zu Sinne,
als müsse er die Entflohene dort wiedersehen; als
würden, wenn es ihm gelänge dieses Ziel unklarer
Träume zu erreichen, viele Geheimnisse sich enthüllen;
viele Räthsel seines Lebens sich lösen. Doch wie wäre
dies auszuführen? Sein Goldvorrath ging auf die
Neige. Er mochte sich's noch so sparsam einrichten;
wenn man immer nur ausgiebt, ohne einzunehmen,
hilft zuletzt kein Sparen. Wie, fragte er sich, soll
es mit mir enden? Wenn ich nun auch wirklich diese
fast unbezwingbare Begierde, ihr nach Frankreich zu
folgen, bezwinge, wenn ich mich und meine feurigsten
Wünsche niederdrücken will;... was soll, auch in
Deutschland, aus mir werden? Jch weiß es nicht.

die entſagende Geduld verloren, die ihn dort im
Gleichgewicht hielt; die ihn ſogar bisweilen ohne
Klage waͤhnen ließ, er ſei mit dem Leben fertig.

Mit dem erwachenden Fruͤhling erwachte in ihm
auch wieder das Gefuͤhl ſeiner Jugend; winterlich-
begrabene Empfindungen entkeimten dieſem Gefuͤhle.
Die ſchwermuͤthige Erinnerung an Adele verwan-
delte ſich in aufregende Sehnſucht nach ihr. Er
wurde den Gedanken nicht los, daß die Jartour ihren
Paß nach Paris ausſtellen laſſen, wie ſein Arzt
beim Geſandten erfahren. Es war ihm zu Sinne,
als muͤſſe er die Entflohene dort wiederſehen; als
wuͤrden, wenn es ihm gelaͤnge dieſes Ziel unklarer
Traͤume zu erreichen, viele Geheimniſſe ſich enthuͤllen;
viele Raͤthſel ſeines Lebens ſich loͤſen. Doch wie waͤre
dies auszufuͤhren? Sein Goldvorrath ging auf die
Neige. Er mochte ſich’s noch ſo ſparſam einrichten;
wenn man immer nur ausgiebt, ohne einzunehmen,
hilft zuletzt kein Sparen. Wie, fragte er ſich, ſoll
es mit mir enden? Wenn ich nun auch wirklich dieſe
faſt unbezwingbare Begierde, ihr nach Frankreich zu
folgen, bezwinge, wenn ich mich und meine feurigſten
Wuͤnſche niederdruͤcken will;... was ſoll, auch in
Deutſchland, aus mir werden? Jch weiß es nicht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0176" n="174"/>
die ent&#x017F;agende Geduld verloren, die ihn dort im<lb/>
Gleichgewicht hielt; die ihn &#x017F;ogar bisweilen ohne<lb/>
Klage wa&#x0364;hnen ließ, er &#x017F;ei mit dem Leben fertig.</p><lb/>
        <p>Mit dem erwachenden Fru&#x0364;hling erwachte in ihm<lb/>
auch wieder das Gefu&#x0364;hl &#x017F;einer Jugend; winterlich-<lb/>
begrabene Empfindungen entkeimten die&#x017F;em Gefu&#x0364;hle.<lb/>
Die &#x017F;chwermu&#x0364;thige Erinnerung an Adele verwan-<lb/>
delte &#x017F;ich in aufregende Sehn&#x017F;ucht nach ihr. Er<lb/>
wurde den Gedanken nicht los, daß die Jartour ihren<lb/>
Paß nach Paris aus&#x017F;tellen la&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ein Arzt<lb/>
beim Ge&#x017F;andten erfahren. Es war ihm zu Sinne,<lb/>
als mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e er die Entflohene dort wieder&#x017F;ehen; als<lb/>
wu&#x0364;rden, wenn es ihm gela&#x0364;nge die&#x017F;es Ziel unklarer<lb/>
Tra&#x0364;ume zu erreichen, viele Geheimni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich enthu&#x0364;llen;<lb/>
viele Ra&#x0364;th&#x017F;el &#x017F;eines Lebens &#x017F;ich lo&#x0364;&#x017F;en. Doch wie wa&#x0364;re<lb/>
dies auszufu&#x0364;hren? Sein Goldvorrath ging auf die<lb/>
Neige. Er mochte &#x017F;ich&#x2019;s noch &#x017F;o &#x017F;par&#x017F;am einrichten;<lb/>
wenn man immer nur ausgiebt, ohne einzunehmen,<lb/>
hilft zuletzt kein Sparen. Wie, fragte er &#x017F;ich, &#x017F;oll<lb/>
es mit mir enden? Wenn ich nun auch wirklich die&#x017F;e<lb/>
fa&#x017F;t unbezwingbare Begierde, ihr nach Frankreich zu<lb/>
folgen, bezwinge, wenn ich mich und meine feurig&#x017F;ten<lb/>
Wu&#x0364;n&#x017F;che niederdru&#x0364;cken will;... was &#x017F;oll, auch in<lb/>
Deut&#x017F;chland, aus mir werden? Jch weiß es nicht.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0176] die entſagende Geduld verloren, die ihn dort im Gleichgewicht hielt; die ihn ſogar bisweilen ohne Klage waͤhnen ließ, er ſei mit dem Leben fertig. Mit dem erwachenden Fruͤhling erwachte in ihm auch wieder das Gefuͤhl ſeiner Jugend; winterlich- begrabene Empfindungen entkeimten dieſem Gefuͤhle. Die ſchwermuͤthige Erinnerung an Adele verwan- delte ſich in aufregende Sehnſucht nach ihr. Er wurde den Gedanken nicht los, daß die Jartour ihren Paß nach Paris ausſtellen laſſen, wie ſein Arzt beim Geſandten erfahren. Es war ihm zu Sinne, als muͤſſe er die Entflohene dort wiederſehen; als wuͤrden, wenn es ihm gelaͤnge dieſes Ziel unklarer Traͤume zu erreichen, viele Geheimniſſe ſich enthuͤllen; viele Raͤthſel ſeines Lebens ſich loͤſen. Doch wie waͤre dies auszufuͤhren? Sein Goldvorrath ging auf die Neige. Er mochte ſich’s noch ſo ſparſam einrichten; wenn man immer nur ausgiebt, ohne einzunehmen, hilft zuletzt kein Sparen. Wie, fragte er ſich, ſoll es mit mir enden? Wenn ich nun auch wirklich dieſe faſt unbezwingbare Begierde, ihr nach Frankreich zu folgen, bezwinge, wenn ich mich und meine feurigſten Wuͤnſche niederdruͤcken will;... was ſoll, auch in Deutſchland, aus mir werden? Jch weiß es nicht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/176
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/176>, abgerufen am 19.05.2024.