Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

rollte, die Bretter vor den Käfigen entlang, nach der
linken Seite hin. Anton, immer noch ohne die Augen
aufzuschlagen, suchte tappend mit der Linken den rol-
lenden Apfel einzuholen; doch eben als er ihn erfaßte,
vernahm er aus Laura's Munde die kaum hörbar ge-
hauchten Worte: um der Liebe Gottes Willen, bewegt
euren Arm nicht, rührt euch nicht von der Stelle.
Zugleich empfand er auf der Oberfläche seiner Hand
eine leise Berührung derselben, wie von feinen Haa-
ren. Der empfangenen Weisung gehorsam, ohne
ihren Sinn noch zu ahnen, schlug er jetzt die Augen
zu Madame Amelot fragend auf und sah sie todten-
bleich, erstarrt vor sich stehen. Er folgte mit den
Augen ihrem Blick, der auf seine linke Hand geheftet
blieb, -- da sah er, wie über ihr und dem Apfel die
Kralle des nächsten Nachbars, des großen bengalischen
Tigers schwebte. Ein Druck dieser Kralle -- und
Anton's Hand war zermalmt. Eh' er aber noch die
blutige Gefahr recht übersehen konnte, hatte schon ein
Hieb, den Laura mit dem umgekehrten, silberbeschla-
genen Stabe ihres Sonnenschirms, eben so geschickt
als kräftig führte, den Tiger heftig auf den Knochen
getroffen, so daß dieser seine Tatze auf -- nur einen
-- flüchtigen Moment erhob und zurückzog. Anton

rollte, die Bretter vor den Kaͤfigen entlang, nach der
linken Seite hin. Anton, immer noch ohne die Augen
aufzuſchlagen, ſuchte tappend mit der Linken den rol-
lenden Apfel einzuholen; doch eben als er ihn erfaßte,
vernahm er aus Laura’s Munde die kaum hoͤrbar ge-
hauchten Worte: um der Liebe Gottes Willen, bewegt
euren Arm nicht, ruͤhrt euch nicht von der Stelle.
Zugleich empfand er auf der Oberflaͤche ſeiner Hand
eine leiſe Beruͤhrung derſelben, wie von feinen Haa-
ren. Der empfangenen Weiſung gehorſam, ohne
ihren Sinn noch zu ahnen, ſchlug er jetzt die Augen
zu Madame Amelot fragend auf und ſah ſie todten-
bleich, erſtarrt vor ſich ſtehen. Er folgte mit den
Augen ihrem Blick, der auf ſeine linke Hand geheftet
blieb, — da ſah er, wie uͤber ihr und dem Apfel die
Kralle des naͤchſten Nachbars, des großen bengaliſchen
Tigers ſchwebte. Ein Druck dieſer Kralle — und
Anton’s Hand war zermalmt. Eh’ er aber noch die
blutige Gefahr recht uͤberſehen konnte, hatte ſchon ein
Hieb, den Laura mit dem umgekehrten, ſilberbeſchla-
genen Stabe ihres Sonnenſchirms, eben ſo geſchickt
als kraͤftig fuͤhrte, den Tiger heftig auf den Knochen
getroffen, ſo daß dieſer ſeine Tatze auf — nur einen
— fluͤchtigen Moment erhob und zuruͤckzog. Anton

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0288" n="272"/>
rollte, die Bretter vor den Ka&#x0364;figen entlang, nach der<lb/>
linken Seite hin. Anton, immer noch ohne die Augen<lb/>
aufzu&#x017F;chlagen, &#x017F;uchte tappend mit der Linken den rol-<lb/>
lenden Apfel einzuholen; doch eben als er ihn erfaßte,<lb/>
vernahm er aus Laura&#x2019;s Munde die kaum ho&#x0364;rbar ge-<lb/>
hauchten Worte: um der Liebe Gottes Willen, bewegt<lb/>
euren Arm nicht, ru&#x0364;hrt euch nicht von der Stelle.<lb/>
Zugleich empfand er auf der Oberfla&#x0364;che &#x017F;einer Hand<lb/>
eine lei&#x017F;e Beru&#x0364;hrung der&#x017F;elben, wie von feinen Haa-<lb/>
ren. Der empfangenen Wei&#x017F;ung gehor&#x017F;am, ohne<lb/>
ihren Sinn noch zu ahnen, &#x017F;chlug er jetzt die Augen<lb/>
zu Madame Amelot fragend auf und &#x017F;ah &#x017F;ie todten-<lb/>
bleich, er&#x017F;tarrt vor &#x017F;ich &#x017F;tehen. Er folgte mit den<lb/>
Augen ihrem Blick, der auf &#x017F;eine linke Hand geheftet<lb/>
blieb, &#x2014; da &#x017F;ah er, wie u&#x0364;ber ihr und dem Apfel die<lb/>
Kralle des na&#x0364;ch&#x017F;ten Nachbars, des großen bengali&#x017F;chen<lb/>
Tigers &#x017F;chwebte. Ein Druck die&#x017F;er Kralle &#x2014; und<lb/>
Anton&#x2019;s Hand war zermalmt. Eh&#x2019; er aber noch die<lb/>
blutige Gefahr recht u&#x0364;ber&#x017F;ehen konnte, hatte &#x017F;chon ein<lb/>
Hieb, den Laura mit dem umgekehrten, &#x017F;ilberbe&#x017F;chla-<lb/>
genen Stabe ihres Sonnen&#x017F;chirms, eben &#x017F;o ge&#x017F;chickt<lb/>
als kra&#x0364;ftig fu&#x0364;hrte, den Tiger heftig auf den Knochen<lb/>
getroffen, &#x017F;o daß die&#x017F;er &#x017F;eine Tatze auf &#x2014; nur einen<lb/>
&#x2014; flu&#x0364;chtigen Moment erhob und zuru&#x0364;ckzog. Anton<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0288] rollte, die Bretter vor den Kaͤfigen entlang, nach der linken Seite hin. Anton, immer noch ohne die Augen aufzuſchlagen, ſuchte tappend mit der Linken den rol- lenden Apfel einzuholen; doch eben als er ihn erfaßte, vernahm er aus Laura’s Munde die kaum hoͤrbar ge- hauchten Worte: um der Liebe Gottes Willen, bewegt euren Arm nicht, ruͤhrt euch nicht von der Stelle. Zugleich empfand er auf der Oberflaͤche ſeiner Hand eine leiſe Beruͤhrung derſelben, wie von feinen Haa- ren. Der empfangenen Weiſung gehorſam, ohne ihren Sinn noch zu ahnen, ſchlug er jetzt die Augen zu Madame Amelot fragend auf und ſah ſie todten- bleich, erſtarrt vor ſich ſtehen. Er folgte mit den Augen ihrem Blick, der auf ſeine linke Hand geheftet blieb, — da ſah er, wie uͤber ihr und dem Apfel die Kralle des naͤchſten Nachbars, des großen bengaliſchen Tigers ſchwebte. Ein Druck dieſer Kralle — und Anton’s Hand war zermalmt. Eh’ er aber noch die blutige Gefahr recht uͤberſehen konnte, hatte ſchon ein Hieb, den Laura mit dem umgekehrten, ſilberbeſchla- genen Stabe ihres Sonnenſchirms, eben ſo geſchickt als kraͤftig fuͤhrte, den Tiger heftig auf den Knochen getroffen, ſo daß dieſer ſeine Tatze auf — nur einen — fluͤchtigen Moment erhob und zuruͤckzog. Anton

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/288
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/288>, abgerufen am 17.05.2024.