"Wenn Du mich lieb hast!" O dieses schlichte Wort, welche Zauberformel, welcher Machtspruch höchster irdischer Gewalt käme ihm gleich?
Wenn Du mich lieb hast! wiederholte der Knabe sanft und innerlich schluchzend; küßte die alten Hände, wankte seiner Kammer zu und drinnen warf er sich auf's Bett, barg das lockige Haupt tief in weiche Federkissen, damit diese den Ausbruch seines Schmer- zes dämpfen möchten; damit die Großmutter ihn nicht weinen höre; damit er sich und seinem jungen Grame Luft machen dürfe!
Sie stirbt! Sie stirbt! sprach er durch glühende Thränen in die Flaumen hinein; ich seh' es ihr an. So sieht der Tod aus. Verflucht, dreimal verflucht sei die Hand, die den unseligen Brief geschrieben! Denn der Brief ist ihr Mörder. --
Was eigentlich in dem Briefe gestanden, erfahren wir nicht. Die alte Frau hat, nachdem sie ihn mit Hülfe ihrer Augengläser in unklarem Dämmerscheine mühsam gelesen, jenes Blatt sogleich verbrannt. Hätte Anton bei seinem Eintritt in ihr Zimmer für etwas Anderes Aufmerksamkeit gehabt, als für seine
Geh’ in Deine Kammer; wenn Du mich lieb haſt.
„Wenn Du mich lieb haſt!“ O dieſes ſchlichte Wort, welche Zauberformel, welcher Machtſpruch hoͤchſter irdiſcher Gewalt kaͤme ihm gleich?
Wenn Du mich lieb haſt! wiederholte der Knabe ſanft und innerlich ſchluchzend; kuͤßte die alten Haͤnde, wankte ſeiner Kammer zu und drinnen warf er ſich auf’s Bett, barg das lockige Haupt tief in weiche Federkiſſen, damit dieſe den Ausbruch ſeines Schmer- zes daͤmpfen moͤchten; damit die Großmutter ihn nicht weinen hoͤre; damit er ſich und ſeinem jungen Grame Luft machen duͤrfe!
Sie ſtirbt! Sie ſtirbt! ſprach er durch gluͤhende Thraͤnen in die Flaumen hinein; ich ſeh’ es ihr an. So ſieht der Tod aus. Verflucht, dreimal verflucht ſei die Hand, die den unſeligen Brief geſchrieben! Denn der Brief iſt ihr Moͤrder. —
Was eigentlich in dem Briefe geſtanden, erfahren wir nicht. Die alte Frau hat, nachdem ſie ihn mit Huͤlfe ihrer Augenglaͤſer in unklarem Daͤmmerſcheine muͤhſam geleſen, jenes Blatt ſogleich verbrannt. Haͤtte Anton bei ſeinem Eintritt in ihr Zimmer fuͤr etwas Anderes Aufmerkſamkeit gehabt, als fuͤr ſeine
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Geh’ in Deine Kammer; wenn Du mich lieb<lb/>
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Geh’ in Deine Kammer; wenn Du mich lieb
haſt.
„Wenn Du mich lieb haſt!“ O dieſes ſchlichte
Wort, welche Zauberformel, welcher Machtſpruch
hoͤchſter irdiſcher Gewalt kaͤme ihm gleich?
Wenn Du mich lieb haſt! wiederholte der Knabe
ſanft und innerlich ſchluchzend; kuͤßte die alten Haͤnde,
wankte ſeiner Kammer zu und drinnen warf er ſich
auf’s Bett, barg das lockige Haupt tief in weiche
Federkiſſen, damit dieſe den Ausbruch ſeines Schmer-
zes daͤmpfen moͤchten; damit die Großmutter ihn nicht
weinen hoͤre; damit er ſich und ſeinem jungen Grame
Luft machen duͤrfe!
Sie ſtirbt! Sie ſtirbt! ſprach er durch gluͤhende
Thraͤnen in die Flaumen hinein; ich ſeh’ es ihr an.
So ſieht der Tod aus. Verflucht, dreimal verflucht
ſei die Hand, die den unſeligen Brief geſchrieben!
Denn der Brief iſt ihr Moͤrder. —
Was eigentlich in dem Briefe geſtanden, erfahren
wir nicht. Die alte Frau hat, nachdem ſie ihn mit
Huͤlfe ihrer Augenglaͤſer in unklarem Daͤmmerſcheine
muͤhſam geleſen, jenes Blatt ſogleich verbrannt.
Haͤtte Anton bei ſeinem Eintritt in ihr Zimmer fuͤr
etwas Anderes Aufmerkſamkeit gehabt, als fuͤr ſeine
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/201>, abgerufen am 25.11.2024.
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