Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

zu ihr hingeschlichen war, zog ihr die Hände vom
Haupte, und fragte freundlich: Großmutterle, warum
flennst Du? Da umschlang die gute Frau den schö-
nen Jungen mit beiden Armen, und aus den Zähren
einsamen Schmerzes wurden Thränen des liebevoll-
sten Mitgefühls. Zärtlich schmeichelnd strich Anton
mit seinen dünnen Fingern über Stirn und Wangen
der Mutter Goksch. Gewiß, sprach er, Du bist noch
immer eine hübsche Frau, Großmama, wenn man
Dir nur die Runzeln wegstreichelt, und dein Gesicht
ein wenig glatt macht. Auf den Sonntag werde ich Dich
mit Johanniswasser einsprengen, und hernach werde ich
das kleine Plätteisen nehmen und Dich gehörig aus-
biegeln; dann kannst Du schmuck zur Kirche gehen
und wirst unserm Herrn Pastor gegenüber sitzen, frisch
und sauber, wie ein neu ausgeputztes Haus, wo sie
daran geschrieben haben: renovatum anno Domini
so und so viel; drei rothe Kreuze darunter. Wenn
Du nur um Alles in der Welt nicht so viel weinen
wolltest, wie ich den Rücken kehre; dann wär's noch
besser; denn die Thränen haben Dir schon Furchen
gebissen in beide Wangen, gerade wie der Regen in
unseren Dachgiebel, so gegen Abend steht. Sei doch
vernünftig, Alte, und mach' mir nicht so viel Ver-

1*

zu ihr hingeſchlichen war, zog ihr die Haͤnde vom
Haupte, und fragte freundlich: Großmutterle, warum
flennſt Du? Da umſchlang die gute Frau den ſchoͤ-
nen Jungen mit beiden Armen, und aus den Zaͤhren
einſamen Schmerzes wurden Thraͤnen des liebevoll-
ſten Mitgefuͤhls. Zaͤrtlich ſchmeichelnd ſtrich Anton
mit ſeinen duͤnnen Fingern uͤber Stirn und Wangen
der Mutter Gokſch. Gewiß, ſprach er, Du biſt noch
immer eine huͤbſche Frau, Großmama, wenn man
Dir nur die Runzeln wegſtreichelt, und dein Geſicht
ein wenig glatt macht. Auf den Sonntag werde ich Dich
mit Johanniswaſſer einſprengen, und hernach werde ich
das kleine Plaͤtteiſen nehmen und Dich gehoͤrig aus-
biegeln; dann kannſt Du ſchmuck zur Kirche gehen
und wirſt unſerm Herrn Paſtor gegenuͤber ſitzen, friſch
und ſauber, wie ein neu ausgeputztes Haus, wo ſie
daran geſchrieben haben: renovatum anno Domini
ſo und ſo viel; drei rothe Kreuze darunter. Wenn
Du nur um Alles in der Welt nicht ſo viel weinen
wollteſt, wie ich den Ruͤcken kehre; dann waͤr’s noch
beſſer; denn die Thraͤnen haben Dir ſchon Furchen
gebiſſen in beide Wangen, gerade wie der Regen in
unſeren Dachgiebel, ſo gegen Abend ſteht. Sei doch
vernuͤnftig, Alte, und mach’ mir nicht ſo viel Ver-

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="3"/>
zu ihr hinge&#x017F;chlichen war, zog ihr die Ha&#x0364;nde vom<lb/>
Haupte, und fragte freundlich: Großmutterle, warum<lb/>
flenn&#x017F;t Du? Da um&#x017F;chlang die gute Frau den &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nen Jungen mit beiden Armen, und aus den Za&#x0364;hren<lb/>
ein&#x017F;amen Schmerzes wurden Thra&#x0364;nen des liebevoll-<lb/>
&#x017F;ten Mitgefu&#x0364;hls. Za&#x0364;rtlich &#x017F;chmeichelnd &#x017F;trich Anton<lb/>
mit &#x017F;einen du&#x0364;nnen Fingern u&#x0364;ber Stirn und Wangen<lb/>
der Mutter Gok&#x017F;ch. Gewiß, &#x017F;prach er, Du bi&#x017F;t noch<lb/>
immer eine hu&#x0364;b&#x017F;che Frau, Großmama, wenn man<lb/>
Dir nur die Runzeln weg&#x017F;treichelt, und dein Ge&#x017F;icht<lb/>
ein wenig glatt macht. Auf den Sonntag werde ich Dich<lb/>
mit Johanniswa&#x017F;&#x017F;er ein&#x017F;prengen, und hernach werde ich<lb/>
das kleine Pla&#x0364;ttei&#x017F;en nehmen und Dich geho&#x0364;rig aus-<lb/>
biegeln; dann kann&#x017F;t Du &#x017F;chmuck zur Kirche gehen<lb/>
und wir&#x017F;t un&#x017F;erm Herrn Pa&#x017F;tor gegenu&#x0364;ber &#x017F;itzen, fri&#x017F;ch<lb/>
und &#x017F;auber, wie ein neu ausgeputztes Haus, wo &#x017F;ie<lb/>
daran ge&#x017F;chrieben haben: <hi rendition="#aq">renovatum anno Domini</hi><lb/>
&#x017F;o und &#x017F;o viel; drei rothe Kreuze darunter. Wenn<lb/>
Du nur um Alles in der Welt nicht &#x017F;o viel weinen<lb/>
wollte&#x017F;t, wie ich den Ru&#x0364;cken kehre; dann wa&#x0364;r&#x2019;s noch<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er; denn die Thra&#x0364;nen haben Dir &#x017F;chon Furchen<lb/>
gebi&#x017F;&#x017F;en in beide Wangen, gerade wie der Regen in<lb/>
un&#x017F;eren Dachgiebel, &#x017F;o gegen Abend &#x017F;teht. Sei doch<lb/>
vernu&#x0364;nftig, Alte, und mach&#x2019; mir nicht &#x017F;o viel Ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0019] zu ihr hingeſchlichen war, zog ihr die Haͤnde vom Haupte, und fragte freundlich: Großmutterle, warum flennſt Du? Da umſchlang die gute Frau den ſchoͤ- nen Jungen mit beiden Armen, und aus den Zaͤhren einſamen Schmerzes wurden Thraͤnen des liebevoll- ſten Mitgefuͤhls. Zaͤrtlich ſchmeichelnd ſtrich Anton mit ſeinen duͤnnen Fingern uͤber Stirn und Wangen der Mutter Gokſch. Gewiß, ſprach er, Du biſt noch immer eine huͤbſche Frau, Großmama, wenn man Dir nur die Runzeln wegſtreichelt, und dein Geſicht ein wenig glatt macht. Auf den Sonntag werde ich Dich mit Johanniswaſſer einſprengen, und hernach werde ich das kleine Plaͤtteiſen nehmen und Dich gehoͤrig aus- biegeln; dann kannſt Du ſchmuck zur Kirche gehen und wirſt unſerm Herrn Paſtor gegenuͤber ſitzen, friſch und ſauber, wie ein neu ausgeputztes Haus, wo ſie daran geſchrieben haben: renovatum anno Domini ſo und ſo viel; drei rothe Kreuze darunter. Wenn Du nur um Alles in der Welt nicht ſo viel weinen wollteſt, wie ich den Ruͤcken kehre; dann waͤr’s noch beſſer; denn die Thraͤnen haben Dir ſchon Furchen gebiſſen in beide Wangen, gerade wie der Regen in unſeren Dachgiebel, ſo gegen Abend ſteht. Sei doch vernuͤnftig, Alte, und mach’ mir nicht ſo viel Ver- 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/19
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/19>, abgerufen am 26.04.2024.