ten schwarzen Wolfgang, dessen Erscheinung ihn damals erweckt und milderen Gefühlen zugewendet, den sollte er jetzt sterbend finden, wenn anders Bär- bel, -- jene verabscheuungswürdige Schöne, -- ihm Wahrheit geredet? Einem Sterbenden sollte er die Augen zudrücken, er, Anton, der noch kein Thier ster- ben gesehn, geschweige denn einen Menschen?
"Ob der Tod wirklich erscheint, wenn er Einen abholt? Ob ich ihn wahrhaft vor mir sehen werde, den leibhaftigen lebendigen Tod?"
Das waren Fragen, mit denen unseres Freundes kindisch-unschuldige Unerfahrenheit seinen sonst so scharfen, richtigen Verstand gleichsam übertölpelte. Bis er sich dann wieder selbst zurechtwies und über eine Baumwurzel stolpernd ausrief: warum nicht gar? den Tod sieht man nicht, den fühlt man nur.
Je näher Anton der bewußten Stelle kam, desto langsamer ward sein Schritt, desto leiser trat er auf. Der Gedanke an die Mitternacht, an die Geister- stunde, die, wo nicht schon angebrochen, ganz nah' sein mußte, regte sich in ihm. Da vernahm er dum- pfes Stöhnen; es schien von dem Platze auszugehn, auf dem er selbst gelegen, als der schwarze Wolfgang ihn aufgefunden.
ten ſchwarzen Wolfgang, deſſen Erſcheinung ihn damals erweckt und milderen Gefuͤhlen zugewendet, den ſollte er jetzt ſterbend finden, wenn anders Baͤr- bel, — jene verabſcheuungswuͤrdige Schoͤne, — ihm Wahrheit geredet? Einem Sterbenden ſollte er die Augen zudruͤcken, er, Anton, der noch kein Thier ſter- ben geſehn, geſchweige denn einen Menſchen?
„Ob der Tod wirklich erſcheint, wenn er Einen abholt? Ob ich ihn wahrhaft vor mir ſehen werde, den leibhaftigen lebendigen Tod?“
Das waren Fragen, mit denen unſeres Freundes kindiſch-unſchuldige Unerfahrenheit ſeinen ſonſt ſo ſcharfen, richtigen Verſtand gleichſam uͤbertoͤlpelte. Bis er ſich dann wieder ſelbſt zurechtwies und uͤber eine Baumwurzel ſtolpernd ausrief: warum nicht gar? den Tod ſieht man nicht, den fuͤhlt man nur.
Je naͤher Anton der bewußten Stelle kam, deſto langſamer ward ſein Schritt, deſto leiſer trat er auf. Der Gedanke an die Mitternacht, an die Geiſter- ſtunde, die, wo nicht ſchon angebrochen, ganz nah’ ſein mußte, regte ſich in ihm. Da vernahm er dum- pfes Stoͤhnen; es ſchien von dem Platze auszugehn, auf dem er ſelbſt gelegen, als der ſchwarze Wolfgang ihn aufgefunden.
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ten ſchwarzen Wolfgang, deſſen Erſcheinung ihn
damals erweckt und milderen Gefuͤhlen zugewendet,
den ſollte er jetzt ſterbend finden, wenn anders Baͤr-
bel, — jene verabſcheuungswuͤrdige Schoͤne, — ihm
Wahrheit geredet? Einem Sterbenden ſollte er die
Augen zudruͤcken, er, Anton, der noch kein Thier ſter-
ben geſehn, geſchweige denn einen Menſchen?
„Ob der Tod wirklich erſcheint, wenn er Einen
abholt? Ob ich ihn wahrhaft vor mir ſehen werde,
den leibhaftigen lebendigen Tod?“
Das waren Fragen, mit denen unſeres Freundes
kindiſch-unſchuldige Unerfahrenheit ſeinen ſonſt ſo
ſcharfen, richtigen Verſtand gleichſam uͤbertoͤlpelte.
Bis er ſich dann wieder ſelbſt zurechtwies und uͤber
eine Baumwurzel ſtolpernd ausrief: warum nicht
gar? den Tod ſieht man nicht, den fuͤhlt man nur.
Je naͤher Anton der bewußten Stelle kam, deſto
langſamer ward ſein Schritt, deſto leiſer trat er auf.
Der Gedanke an die Mitternacht, an die Geiſter-
ſtunde, die, wo nicht ſchon angebrochen, ganz nah’
ſein mußte, regte ſich in ihm. Da vernahm er dum-
pfes Stoͤhnen; es ſchien von dem Platze auszugehn,
auf dem er ſelbſt gelegen, als der ſchwarze Wolfgang
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/158>, abgerufen am 24.11.2024.
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