Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

lesen. Der ernsthafte Rezensent mache sich's bequem
und sage: das muß dummes Zeug sein, denn es heißt
so und so und der Verfasser ist der und der. Auch
kann er beifügen: es enthält nichts von kommunisti-
schen, sozialistischen, politischen Tendenzen, folglich ist
es außer der Zeit, folglich hab' ich es keines Blickes
gewürdiget und erkläre es hiermit für schlecht. Wie
gesagt, das wäre das Bequemste. Aber ich fürchte mich
auch davor nicht.

Nein, was ich fürchte, wäre vernehmen zu müssen:
der wohlwollende Leser habe sich dabei gelangweilt!

Wenn dieser Fall eintritt, mein theurer Freund, in
welchen Winkel verkrieche ich mich dann vor Jhnen?

Und es ist doch möglich? Wer verbürgt mir das
Gegentheil? Bin ich nicht auf meine alten Tage zum
Romanschriftsteller geworden, wie man eine Hand
umdreht?

Professor August Kahlert, mein lieber Landsmann,
schrieb mir vergangenen Winter aus Breslau: "den
Deutschen fehlt das tiefe, liebevolle Eingehen in Ein-
zelheiten der Personen und Situationen, was die Eng-
länder seit allen Zeiten besitzen. Jch bin immer
noch der Meinung, daß Sie (als wie ich!) der Mann

leſen. Der ernſthafte Rezenſent mache ſich’s bequem
und ſage: das muß dummes Zeug ſein, denn es heißt
ſo und ſo und der Verfaſſer iſt der und der. Auch
kann er beifügen: es enthält nichts von kommuniſti-
ſchen, ſozialiſtiſchen, politiſchen Tendenzen, folglich iſt
es außer der Zeit, folglich hab’ ich es keines Blickes
gewürdiget und erkläre es hiermit für ſchlecht. Wie
geſagt, das wäre das Bequemſte. Aber ich fürchte mich
auch davor nicht.

Nein, was ich fürchte, wäre vernehmen zu müſſen:
der wohlwollende Leſer habe ſich dabei gelangweilt!

Wenn dieſer Fall eintritt, mein theurer Freund, in
welchen Winkel verkrieche ich mich dann vor Jhnen?

Und es iſt doch möglich? Wer verbürgt mir das
Gegentheil? Bin ich nicht auf meine alten Tage zum
Romanſchriftſteller geworden, wie man eine Hand
umdreht?

Profeſſor Auguſt Kahlert, mein lieber Landsmann,
ſchrieb mir vergangenen Winter aus Breslau: „den
Deutſchen fehlt das tiefe, liebevolle Eingehen in Ein-
zelheiten der Perſonen und Situationen, was die Eng-
länder ſeit allen Zeiten beſitzen. Jch bin immer
noch der Meinung, daß Sie (als wie ich!) der Mann

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="dedication">
        <div>
          <p><pb facs="#f0012" n="XII"/>
le&#x017F;en. Der ern&#x017F;thafte Rezen&#x017F;ent mache &#x017F;ich&#x2019;s bequem<lb/>
und &#x017F;age: das muß dummes Zeug &#x017F;ein, denn es heißt<lb/>
&#x017F;o und &#x017F;o und der Verfa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t der und der. Auch<lb/>
kann er beifügen: es enthält nichts von kommuni&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;chen, &#x017F;oziali&#x017F;ti&#x017F;chen, politi&#x017F;chen Tendenzen, folglich i&#x017F;t<lb/>
es außer der Zeit, folglich hab&#x2019; ich es keines Blickes<lb/>
gewürdiget und erkläre es hiermit für &#x017F;chlecht. Wie<lb/>
ge&#x017F;agt, das wäre das Bequem&#x017F;te. Aber ich fürchte mich<lb/>
auch davor nicht.</p><lb/>
          <p>Nein, was ich fürchte, wäre vernehmen zu mü&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
der wohlwollende Le&#x017F;er habe &#x017F;ich dabei gelangweilt!</p><lb/>
          <p>Wenn die&#x017F;er Fall eintritt, mein theurer Freund, in<lb/>
welchen Winkel verkrieche ich mich dann vor Jhnen?</p><lb/>
          <p>Und es i&#x017F;t doch möglich? Wer verbürgt mir das<lb/>
Gegentheil? Bin ich nicht auf meine alten Tage zum<lb/>
Roman&#x017F;chrift&#x017F;teller geworden, wie man eine Hand<lb/>
umdreht?</p><lb/>
          <p>Profe&#x017F;&#x017F;or Augu&#x017F;t Kahlert, mein lieber Landsmann,<lb/>
&#x017F;chrieb mir vergangenen Winter aus Breslau: &#x201E;den<lb/>
Deut&#x017F;chen fehlt das tiefe, liebevolle Eingehen in Ein-<lb/>
zelheiten der Per&#x017F;onen und Situationen, was die Eng-<lb/>
länder &#x017F;eit allen Zeiten be&#x017F;itzen. Jch bin immer<lb/>
noch der Meinung, daß Sie (<hi rendition="#g">als wie ich!</hi>) der Mann<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XII/0012] leſen. Der ernſthafte Rezenſent mache ſich’s bequem und ſage: das muß dummes Zeug ſein, denn es heißt ſo und ſo und der Verfaſſer iſt der und der. Auch kann er beifügen: es enthält nichts von kommuniſti- ſchen, ſozialiſtiſchen, politiſchen Tendenzen, folglich iſt es außer der Zeit, folglich hab’ ich es keines Blickes gewürdiget und erkläre es hiermit für ſchlecht. Wie geſagt, das wäre das Bequemſte. Aber ich fürchte mich auch davor nicht. Nein, was ich fürchte, wäre vernehmen zu müſſen: der wohlwollende Leſer habe ſich dabei gelangweilt! Wenn dieſer Fall eintritt, mein theurer Freund, in welchen Winkel verkrieche ich mich dann vor Jhnen? Und es iſt doch möglich? Wer verbürgt mir das Gegentheil? Bin ich nicht auf meine alten Tage zum Romanſchriftſteller geworden, wie man eine Hand umdreht? Profeſſor Auguſt Kahlert, mein lieber Landsmann, ſchrieb mir vergangenen Winter aus Breslau: „den Deutſchen fehlt das tiefe, liebevolle Eingehen in Ein- zelheiten der Perſonen und Situationen, was die Eng- länder ſeit allen Zeiten beſitzen. Jch bin immer noch der Meinung, daß Sie (als wie ich!) der Mann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/12
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/12>, abgerufen am 23.11.2024.