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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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erzählt habe; ich wollte vielmehr in historischer Kürze
berichten, daß auf die Art und Weise, welche wir jetzt
schon durch anderthalb Kapitel kennen, ganze Wochen
des lieben Sommers verstrichen; daß nichts geschah,
was als äußerliches Ereigniß ausdrücklicher Erwäh-
nung werth erschiene? Es sind dies Zustände, welche
den Erzähler zwingen, eine Lücke zu lassen im Gange
der Mittheilungen; eine Lücke, die dem Leser und
dessen geistigem Mitwirken auszufüllen überlassen
bleibt. Wie auch könnte ohne solches ein Roman-
schreiber bestehen? Ein Buch dieser Gattung schreiben,
dichten, schaffen -- nennt es, wie Jhr wollt! -- heißt
doch endlich nichts anderes, als auf begabte Mitar-
beiter zählen, die sich unter den Lesern finden. Nur
solche sind Leser in meinen Augen; nur solche bilden
das Publikum.

Die Uebrigen, -- jene geist- und seelen-leeren
Blattverschlinger, die nichts von uns Schriftstellern
wollen, als durch unsere Hülfe eine faule Stunde
abgetödtet zu wissen; jene fühllosen Egoisten, die kein
Herz haben für Freud und Leid im Buche ... Ei,
was werd' ich mir die Stimmung verderben, durch
den Gedanken an sie? Hole sie Dieser und Jener! --



erzaͤhlt habe; ich wollte vielmehr in hiſtoriſcher Kuͤrze
berichten, daß auf die Art und Weiſe, welche wir jetzt
ſchon durch anderthalb Kapitel kennen, ganze Wochen
des lieben Sommers verſtrichen; daß nichts geſchah,
was als aͤußerliches Ereigniß ausdruͤcklicher Erwaͤh-
nung werth erſchiene? Es ſind dies Zuſtaͤnde, welche
den Erzaͤhler zwingen, eine Luͤcke zu laſſen im Gange
der Mittheilungen; eine Luͤcke, die dem Leſer und
deſſen geiſtigem Mitwirken auszufuͤllen uͤberlaſſen
bleibt. Wie auch koͤnnte ohne ſolches ein Roman-
ſchreiber beſtehen? Ein Buch dieſer Gattung ſchreiben,
dichten, ſchaffen — nennt es, wie Jhr wollt! — heißt
doch endlich nichts anderes, als auf begabte Mitar-
beiter zaͤhlen, die ſich unter den Leſern finden. Nur
ſolche ſind Leſer in meinen Augen; nur ſolche bilden
das Publikum.

Die Uebrigen, — jene geiſt- und ſeelen-leeren
Blattverſchlinger, die nichts von uns Schriftſtellern
wollen, als durch unſere Huͤlfe eine faule Stunde
abgetoͤdtet zu wiſſen; jene fuͤhlloſen Egoiſten, die kein
Herz haben fuͤr Freud und Leid im Buche ... Ei,
was werd’ ich mir die Stimmung verderben, durch
den Gedanken an ſie? Hole ſie Dieſer und Jener! —



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[92/0108] erzaͤhlt habe; ich wollte vielmehr in hiſtoriſcher Kuͤrze berichten, daß auf die Art und Weiſe, welche wir jetzt ſchon durch anderthalb Kapitel kennen, ganze Wochen des lieben Sommers verſtrichen; daß nichts geſchah, was als aͤußerliches Ereigniß ausdruͤcklicher Erwaͤh- nung werth erſchiene? Es ſind dies Zuſtaͤnde, welche den Erzaͤhler zwingen, eine Luͤcke zu laſſen im Gange der Mittheilungen; eine Luͤcke, die dem Leſer und deſſen geiſtigem Mitwirken auszufuͤllen uͤberlaſſen bleibt. Wie auch koͤnnte ohne ſolches ein Roman- ſchreiber beſtehen? Ein Buch dieſer Gattung ſchreiben, dichten, ſchaffen — nennt es, wie Jhr wollt! — heißt doch endlich nichts anderes, als auf begabte Mitar- beiter zaͤhlen, die ſich unter den Leſern finden. Nur ſolche ſind Leſer in meinen Augen; nur ſolche bilden das Publikum. Die Uebrigen, — jene geiſt- und ſeelen-leeren Blattverſchlinger, die nichts von uns Schriftſtellern wollen, als durch unſere Huͤlfe eine faule Stunde abgetoͤdtet zu wiſſen; jene fuͤhlloſen Egoiſten, die kein Herz haben fuͤr Freud und Leid im Buche ... Ei, was werd’ ich mir die Stimmung verderben, durch den Gedanken an ſie? Hole ſie Dieſer und Jener! —

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/108>, abgerufen am 24.11.2024.