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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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gethan, durch den vielbesprochenen Luftkuß, -- der
Engel verliert die Fittige, das Menschliche tritt heraus,
der junge Mann beginnt sich zu fühlen, Leidenschaft
siegt über die Andacht, irdische Hoffnungen quellen
blühend hervor, die sich an jenes unerwartete Ereig-
niß knüpfen, wie das Erblühen voreiliger Blumen
an einem warmen Apriltag; ... doch nun ist's auch
schon aus. Alles ist vorbei. Vergeblich harrt der
kühn Gewordene auf die nothwendigen Folgen des
ersten Schrittes? -- Sie unterbleiben. Der erste
Schritt war der letzte und hat nur dazu gedient, ihm
seine Ruhe zu rauben, indem er kecke Wünsche aufer-
weckte, die unerfüllt welken.

Dies alles geschah unserem Anton. Ottilie, wenn
sie ihm zufällig und selten begegnete, war stolzer,
fremder, zurückstoßender als jemals vor jenem Abende,
welchen der luftige Traum eines Kusses durchweht
hatte. Versuchte er, ihr näher zu treten, um ein
Zwiegespräch zu beginnen, so kehrte sie ihm den Rücken
und ließ ihn stehen, während Linz und Miez gleich-
gültig-freundlich mit ihm redend, nach seiner Arbeit,
nach seiner Großmutter fragten, wie sie es stets gethan,
und ihm Grüße von Puschel und Rubs bestellten, um
anzudeuten, daß die langen Jünglinge ihnen bisweilen

gethan, durch den vielbeſprochenen Luftkuß, — der
Engel verliert die Fittige, das Menſchliche tritt heraus,
der junge Mann beginnt ſich zu fuͤhlen, Leidenſchaft
ſiegt uͤber die Andacht, irdiſche Hoffnungen quellen
bluͤhend hervor, die ſich an jenes unerwartete Ereig-
niß knuͤpfen, wie das Erbluͤhen voreiliger Blumen
an einem warmen Apriltag; ... doch nun iſt’s auch
ſchon aus. Alles iſt vorbei. Vergeblich harrt der
kuͤhn Gewordene auf die nothwendigen Folgen des
erſten Schrittes? — Sie unterbleiben. Der erſte
Schritt war der letzte und hat nur dazu gedient, ihm
ſeine Ruhe zu rauben, indem er kecke Wuͤnſche aufer-
weckte, die unerfuͤllt welken.

Dies alles geſchah unſerem Anton. Ottilie, wenn
ſie ihm zufaͤllig und ſelten begegnete, war ſtolzer,
fremder, zuruͤckſtoßender als jemals vor jenem Abende,
welchen der luftige Traum eines Kuſſes durchweht
hatte. Verſuchte er, ihr naͤher zu treten, um ein
Zwiegeſpraͤch zu beginnen, ſo kehrte ſie ihm den Ruͤcken
und ließ ihn ſtehen, waͤhrend Linz und Miez gleich-
guͤltig-freundlich mit ihm redend, nach ſeiner Arbeit,
nach ſeiner Großmutter fragten, wie ſie es ſtets gethan,
und ihm Gruͤße von Puſchel und Rubs beſtellten, um
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[90/0106] gethan, durch den vielbeſprochenen Luftkuß, — der Engel verliert die Fittige, das Menſchliche tritt heraus, der junge Mann beginnt ſich zu fuͤhlen, Leidenſchaft ſiegt uͤber die Andacht, irdiſche Hoffnungen quellen bluͤhend hervor, die ſich an jenes unerwartete Ereig- niß knuͤpfen, wie das Erbluͤhen voreiliger Blumen an einem warmen Apriltag; ... doch nun iſt’s auch ſchon aus. Alles iſt vorbei. Vergeblich harrt der kuͤhn Gewordene auf die nothwendigen Folgen des erſten Schrittes? — Sie unterbleiben. Der erſte Schritt war der letzte und hat nur dazu gedient, ihm ſeine Ruhe zu rauben, indem er kecke Wuͤnſche aufer- weckte, die unerfuͤllt welken. Dies alles geſchah unſerem Anton. Ottilie, wenn ſie ihm zufaͤllig und ſelten begegnete, war ſtolzer, fremder, zuruͤckſtoßender als jemals vor jenem Abende, welchen der luftige Traum eines Kuſſes durchweht hatte. Verſuchte er, ihr naͤher zu treten, um ein Zwiegeſpraͤch zu beginnen, ſo kehrte ſie ihm den Ruͤcken und ließ ihn ſtehen, waͤhrend Linz und Miez gleich- guͤltig-freundlich mit ihm redend, nach ſeiner Arbeit, nach ſeiner Großmutter fragten, wie ſie es ſtets gethan, und ihm Gruͤße von Puſchel und Rubs beſtellten, um anzudeuten, daß die langen Juͤnglinge ihnen bisweilen

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/106>, abgerufen am 24.11.2024.