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Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902.

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DER Vorhang, ein Gobelin, ist herabgelassen. Im Proscenium
steht die Büste Böcklins auf einer Säule; zu deren Fuss ein
Korb mit Blumen und blühenden Zweigen.
In die letzten Takte der Symphonie tritt der Prolog auf, seine
Fackelträger hinter ihm.
Der Prolog ist ein Jüngling; er ist venezianisch gekleidet, ganz
in schwarz, als ein Trauernder.
Der Prolog:
Nun schweig, Musik! nun ist die Scene mein,
Und ich will klagen, denn mir steht es zu!
Von dieser Zeiten Jugend fliesst der Saft
In mir; und er, dess Standbild auf mich blickt,
War meiner Seele so geliebter Freund!
Und dieses Guten hab ich sehr bedurft,
Denn Finsternis ist viel in dieser Zeit,
Und wie der Schwan, ein selig schwimmend Tier,
Aus der Najade triefend weissen Händen
Sich seine Nahrung küsst, so bog ich mich
In dunklen Stunden über seine Hände
Um meiner Seele Nahrung: tiefen Traum.

DER Vorhang, ein Gobelin, ist herabgelassen. Im Proscenium
steht die Büste Böcklins auf einer Säule; zu deren Fuss ein
Korb mit Blumen und blühenden Zweigen.
In die letzten Takte der Symphonie tritt der Prolog auf, seine
Fackelträger hinter ihm.
Der Prolog ist ein Jüngling; er ist venezianisch gekleidet, ganz
in schwarz, als ein Trauernder.
Der Prolog:
Nun schweig, Musik! nun ist die Scene mein,
Und ich will klagen, denn mir steht es zu!
Von dieser Zeiten Jugend fliesst der Saft
In mir; und er, dess Standbild auf mich blickt,
War meiner Seele so geliebter Freund!
Und dieses Guten hab ich sehr bedurft,
Denn Finsternis ist viel in dieser Zeit,
Und wie der Schwan, ein selig schwimmend Tier,
Aus der Najade triefend weissen Händen
Sich seine Nahrung küsst, so bog ich mich
In dunklen Stunden über seine Hände
Um meiner Seele Nahrung: tiefen Traum.

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[6/0014] DER Vorhang, ein Gobelin, ist herabgelassen. Im Proscenium steht die Büste Böcklins auf einer Säule; zu deren Fuss ein Korb mit Blumen und blühenden Zweigen. In die letzten Takte der Symphonie tritt der Prolog auf, seine Fackelträger hinter ihm. Der Prolog ist ein Jüngling; er ist venezianisch gekleidet, ganz in schwarz, als ein Trauernder. Der Prolog: Nun schweig, Musik! nun ist die Scene mein, Und ich will klagen, denn mir steht es zu! Von dieser Zeiten Jugend fliesst der Saft In mir; und er, dess Standbild auf mich blickt, War meiner Seele so geliebter Freund! Und dieses Guten hab ich sehr bedurft, Denn Finsternis ist viel in dieser Zeit, Und wie der Schwan, ein selig schwimmend Tier, Aus der Najade triefend weissen Händen Sich seine Nahrung küsst, so bog ich mich In dunklen Stunden über seine Hände Um meiner Seele Nahrung: tiefen Traum.

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Zitationshilfe: Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannsthal_tizian_1901/14>, abgerufen am 29.03.2024.