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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

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Vorrede.
eine bescheidne liebe nichts verdammliches an sich
hat; so seh ich auch nicht, wie man selbige mit recht
tadeln könne, wenn sie in verse eingeschlossen wird.
Es ist falsch, daß alle verliebte getichte die fleisch-
liche wollust zum grunde haben. Manche sind ein
bloser schertz; viele aber nicht anders anzusehen, als
complimente, die ein jeder galant homme, nach gele-
genheit der umstände, einem frauenzimmer schuldig
ist. Sind dann nun schertz und complimente ärger-
liche und unzulässige dinge? Julius Caesar Scaliger
hat unterschiedne verliebte poetische seuffzer an seine
Thaumantia abgelassen, der doch in seinem tempera-
ment nichts weniger als wollust hatte, auch jederzeit
sich so aufgeführet, daß er auf der bahn der liebe nie
einen fehlritt begangen. Die berühmte Scudery
mag freylich nicht gantz unempfindlich gewesen seyn:
aber wie man in ihren verliebten romanen nichts lie-
derliches, sondern lauter bescheidenheit, antrifft; also
haben diejenigen, so neben ihr an einem orte gelebt,
sich jederzeit vergebens bemühet, sie über einiger
liebes-intrigue zu ertappen; daher einige ein recht
wunderwerck daraus gemacht: daß eine dame, wel-
che die regungen der liebe so natürlich und sinnreich
mit der feder ausgedrücket, ihren zucker dennoch nie-
mahlen gekostet, sondern den ruhm eines unbefleck-
ten wandels ungekränckt jederzeit erhalten hat. Jn-
dessen ist mein absehen nicht, jemanden zu verferti-
gung einiger liebes-getichte zu bereden. Entschul-
digen und einloben sind sehr unterschiedne dinge: ja
es giebt personen, denen man dergleichen unterfan-

gun
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Vorrede.
eine beſcheidne liebe nichts verdammliches an ſich
hat; ſo ſeh ich auch nicht, wie man ſelbige mit recht
tadeln koͤnne, wenn ſie in verſe eingeſchloſſen wird.
Es iſt falſch, daß alle verliebte getichte die fleiſch-
liche wolluſt zum grunde haben. Manche ſind ein
bloſer ſchertz; viele aber nicht anders anzuſehen, als
complimente, die ein jeder galant homme, nach gele-
genheit der umſtaͤnde, einem frauenzimmer ſchuldig
iſt. Sind dann nun ſchertz und complimente aͤrger-
liche und unzulaͤſſige dinge? Julius Cæſar Scaliger
hat unterſchiedne verliebte poetiſche ſeuffzer an ſeine
Thaumantia abgelaſſen, der doch in ſeinem tempera-
ment nichts weniger als wolluſt hatte, auch jederzeit
ſich ſo aufgefuͤhret, daß er auf der bahn der liebe nie
einen fehlritt begangen. Die beruͤhmte Scudery
mag freylich nicht gantz unempfindlich geweſen ſeyn:
aber wie man in ihren verliebten romanen nichts lie-
derliches, ſondern lauter beſcheidenheit, antrifft; alſo
haben diejenigen, ſo neben ihr an einem orte gelebt,
ſich jederzeit vergebens bemuͤhet, ſie uͤber einiger
liebes-intrigue zu ertappen; daher einige ein recht
wunderwerck daraus gemacht: daß eine dame, wel-
che die regungen der liebe ſo natuͤrlich und ſinnreich
mit der feder ausgedruͤcket, ihren zucker dennoch nie-
mahlen gekoſtet, ſondern den ruhm eines unbefleck-
ten wandels ungekraͤnckt jederzeit erhalten hat. Jn-
deſſen iſt mein abſehen nicht, jemanden zu verferti-
gung einiger liebes-getichte zu bereden. Entſchul-
digen und einloben ſind ſehr unterſchiedne dinge: ja
es giebt perſonen, denen man dergleichen unterfan-

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[0019] Vorrede. eine beſcheidne liebe nichts verdammliches an ſich hat; ſo ſeh ich auch nicht, wie man ſelbige mit recht tadeln koͤnne, wenn ſie in verſe eingeſchloſſen wird. Es iſt falſch, daß alle verliebte getichte die fleiſch- liche wolluſt zum grunde haben. Manche ſind ein bloſer ſchertz; viele aber nicht anders anzuſehen, als complimente, die ein jeder galant homme, nach gele- genheit der umſtaͤnde, einem frauenzimmer ſchuldig iſt. Sind dann nun ſchertz und complimente aͤrger- liche und unzulaͤſſige dinge? Julius Cæſar Scaliger hat unterſchiedne verliebte poetiſche ſeuffzer an ſeine Thaumantia abgelaſſen, der doch in ſeinem tempera- ment nichts weniger als wolluſt hatte, auch jederzeit ſich ſo aufgefuͤhret, daß er auf der bahn der liebe nie einen fehlritt begangen. Die beruͤhmte Scudery mag freylich nicht gantz unempfindlich geweſen ſeyn: aber wie man in ihren verliebten romanen nichts lie- derliches, ſondern lauter beſcheidenheit, antrifft; alſo haben diejenigen, ſo neben ihr an einem orte gelebt, ſich jederzeit vergebens bemuͤhet, ſie uͤber einiger liebes-intrigue zu ertappen; daher einige ein recht wunderwerck daraus gemacht: daß eine dame, wel- che die regungen der liebe ſo natuͤrlich und ſinnreich mit der feder ausgedruͤcket, ihren zucker dennoch nie- mahlen gekoſtet, ſondern den ruhm eines unbefleck- ten wandels ungekraͤnckt jederzeit erhalten hat. Jn- deſſen iſt mein abſehen nicht, jemanden zu verferti- gung einiger liebes-getichte zu bereden. Entſchul- digen und einloben ſind ſehr unterſchiedne dinge: ja es giebt perſonen, denen man dergleichen unterfan- gun ):( ):( 2

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/19>, abgerufen am 26.04.2024.