Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
unterscheid verbannet, so hat er geirret, wie einige
fromme kirchen-väter, die ein besser gemüthe als judi-
cium
gehabt haben, das viele in Platone zwar su-
chen, die wenigsten aber antreffen und andern dar-
thun können.

17. So ist demnach die poesie wie eine dame an-
zusehen, welche der eine als eine göttin anbeter, und
der andre vor eine hure ausschreyet, da sie doch keines
von beyden, sondern eine unschuldige dirne ist. Man
kan die poesie brauchen und mißbrauchen. Sie ist ei-
ne kunst, durch gebundne und abgemeßne worte an-
dre zu bereden oder zu ergetzen. Berede ich andre
was guts? so ist sie wohl angewehrt; berede ich andre
was böses? so mißbrauche ich sie. Bediene ich mich
ihrer aber blos zu einer unschuldigen ergetzung, und
halte dabey die gehörige mase; so wird mich niemand
deß wegen tadeln können, wo er nicht den nahmen ei-
nes mürrischen sauertopffs und heuchlers mit rechte
verdienen will.

18. Jch könnte hierbey alle arten der getichte
durchgehen, und was ich in ansehen des nutzens und
schadens, gebrauchs und mißbrauchs gut befinde,
insonderheit eröffnen; ich will aber nur mit ein paar
worten derer verliebten gedencken. Es sind
viele, so sie durchaus nicht leiden wollen, und ich
gestehe selbst, daß manche weit besser gethan, wenn
sie statt derselben eine geistliche aria gesungen hätten.
Aber darum verwerffe ich sie doch nicht schlechter
dings als was böses. Offenbahr geile und unver-
schämte lieder kan ich nicht entschuldigen: Aber wie

eine

Vorrede.
unterſcheid verbannet, ſo hat er geirret, wie einige
fromme kirchen-vaͤter, die ein beſſer gemuͤthe als judi-
cium
gehabt haben, das viele in Platone zwar ſu-
chen, die wenigſten aber antreffen und andern dar-
thun koͤnnen.

17. So iſt demnach die poeſie wie eine dame an-
zuſehen, welche der eine als eine goͤttin anbeter, und
der andre vor eine hure ausſchreyet, da ſie doch keines
von beyden, ſondern eine unſchuldige dirne iſt. Man
kan die poeſie brauchen und mißbrauchen. Sie iſt ei-
ne kunſt, durch gebundne und abgemeßne worte an-
dre zu bereden oder zu ergetzen. Berede ich andre
was guts? ſo iſt ſie wohl angewehrt; berede ich andre
was boͤſes? ſo mißbrauche ich ſie. Bediene ich mich
ihrer aber blos zu einer unſchuldigen ergetzung, und
halte dabey die gehoͤrige maſe; ſo wird mich niemand
deß wegen tadeln koͤnnen, wo er nicht den nahmen ei-
nes muͤrriſchen ſauertopffs und heuchlers mit rechte
verdienen will.

18. Jch koͤnnte hierbey alle arten der getichte
durchgehen, und was ich in anſehen des nutzens und
ſchadens, gebrauchs und mißbrauchs gut befinde,
inſonderheit eroͤffnen; ich will aber nur mit ein paar
worten derer verliebten gedencken. Es ſind
viele, ſo ſie durchaus nicht leiden wollen, und ich
geſtehe ſelbſt, daß manche weit beſſer gethan, wenn
ſie ſtatt derſelben eine geiſtliche aria geſungen haͤtten.
Aber darum verwerffe ich ſie doch nicht ſchlechter
dings als was boͤſes. Offenbahr geile und unver-
ſchaͤmte lieder kan ich nicht entſchuldigen: Aber wie

eine
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorrede.</hi></fw><lb/>
unter&#x017F;cheid verbannet, &#x017F;o hat er geirret, wie einige<lb/>
fromme kirchen-va&#x0364;ter, die ein be&#x017F;&#x017F;er gemu&#x0364;the als <hi rendition="#aq">judi-<lb/>
cium</hi> gehabt haben, das viele in <hi rendition="#aq">Platone</hi> zwar &#x017F;u-<lb/>
chen, die wenig&#x017F;ten aber antreffen und andern dar-<lb/>
thun ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>17. So i&#x017F;t demnach die poe&#x017F;ie wie eine dame an-<lb/>
zu&#x017F;ehen, welche der eine als eine go&#x0364;ttin anbeter, und<lb/>
der andre vor eine hure aus&#x017F;chreyet, da &#x017F;ie doch keines<lb/>
von beyden, &#x017F;ondern eine un&#x017F;chuldige dirne i&#x017F;t. Man<lb/>
kan die poe&#x017F;ie brauchen und mißbrauchen. Sie i&#x017F;t ei-<lb/>
ne kun&#x017F;t, durch gebundne und abgemeßne worte an-<lb/>
dre zu bereden oder zu ergetzen. Berede ich andre<lb/>
was guts? &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie wohl angewehrt; berede ich andre<lb/>
was bo&#x0364;&#x017F;es? &#x017F;o mißbrauche ich &#x017F;ie. Bediene ich mich<lb/>
ihrer aber blos zu einer un&#x017F;chuldigen ergetzung, und<lb/>
halte dabey die geho&#x0364;rige ma&#x017F;e; &#x017F;o wird mich niemand<lb/>
deß wegen tadeln ko&#x0364;nnen, wo er nicht den nahmen ei-<lb/>
nes mu&#x0364;rri&#x017F;chen &#x017F;auertopffs und heuchlers mit rechte<lb/>
verdienen will.</p><lb/>
        <p>18. Jch ko&#x0364;nnte hierbey alle arten der getichte<lb/>
durchgehen, und was ich in an&#x017F;ehen des nutzens und<lb/>
&#x017F;chadens, gebrauchs und mißbrauchs gut befinde,<lb/>
in&#x017F;onderheit ero&#x0364;ffnen; ich will aber nur mit ein paar<lb/>
worten <hi rendition="#fr">derer verliebten</hi> gedencken. Es &#x017F;ind<lb/>
viele, &#x017F;o &#x017F;ie durchaus nicht leiden wollen, und ich<lb/>
ge&#x017F;tehe &#x017F;elb&#x017F;t, daß manche weit be&#x017F;&#x017F;er gethan, wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;tatt der&#x017F;elben eine gei&#x017F;tliche aria ge&#x017F;ungen ha&#x0364;tten.<lb/>
Aber darum verwerffe ich &#x017F;ie doch nicht &#x017F;chlechter<lb/>
dings als was bo&#x0364;&#x017F;es. Offenbahr geile und unver-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;mte lieder kan ich nicht ent&#x017F;chuldigen: Aber wie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0018] Vorrede. unterſcheid verbannet, ſo hat er geirret, wie einige fromme kirchen-vaͤter, die ein beſſer gemuͤthe als judi- cium gehabt haben, das viele in Platone zwar ſu- chen, die wenigſten aber antreffen und andern dar- thun koͤnnen. 17. So iſt demnach die poeſie wie eine dame an- zuſehen, welche der eine als eine goͤttin anbeter, und der andre vor eine hure ausſchreyet, da ſie doch keines von beyden, ſondern eine unſchuldige dirne iſt. Man kan die poeſie brauchen und mißbrauchen. Sie iſt ei- ne kunſt, durch gebundne und abgemeßne worte an- dre zu bereden oder zu ergetzen. Berede ich andre was guts? ſo iſt ſie wohl angewehrt; berede ich andre was boͤſes? ſo mißbrauche ich ſie. Bediene ich mich ihrer aber blos zu einer unſchuldigen ergetzung, und halte dabey die gehoͤrige maſe; ſo wird mich niemand deß wegen tadeln koͤnnen, wo er nicht den nahmen ei- nes muͤrriſchen ſauertopffs und heuchlers mit rechte verdienen will. 18. Jch koͤnnte hierbey alle arten der getichte durchgehen, und was ich in anſehen des nutzens und ſchadens, gebrauchs und mißbrauchs gut befinde, inſonderheit eroͤffnen; ich will aber nur mit ein paar worten derer verliebten gedencken. Es ſind viele, ſo ſie durchaus nicht leiden wollen, und ich geſtehe ſelbſt, daß manche weit beſſer gethan, wenn ſie ſtatt derſelben eine geiſtliche aria geſungen haͤtten. Aber darum verwerffe ich ſie doch nicht ſchlechter dings als was boͤſes. Offenbahr geile und unver- ſchaͤmte lieder kan ich nicht entſchuldigen: Aber wie eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/18
Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/18>, abgerufen am 20.04.2024.