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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

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Vorrede.
schaffen. Die meisten poeten lassen sich das feuer
ihrer imagination dahin reissen und auf viele abwege
verführen, wovon sonderlich Jtalien viel exempel auf-
weisen kan. Aber es giebt doch auch vorsichtige
tichter, die ihr ingenium durch ein reiffes urthel zu
mäßigen wissen. Der verstand ist eine herrliche
krafft der menschlichen seele: das ingenium auch; aber
wenn sie von einem schlimmen hertzen geleitet und
verderbet werden, so muß man dieses verderben nicht
so wohl ihnen, als diesem zu schreiben. Daher ist
es ein irrthum, wenn man die einbildungs-krafft blos
zur latte der narren, und also auch die poesie zu einem
tummen thiere machen will, nach dem sich ein weiser
ihrer eben so wohl, und zwar mit grossen nutzen, be-
dienen kan.

14. Die folgende beschuldigung: daß die mit
dem judicio und gedächtniß verknüpfften wissenschaff-
ten bey der poesie nicht stehen können, ist schon wie-
derlegt, und könnte man deren ungrund mit vielen
exempeln noch weiter umstossen, wenn ich mich nicht
der kürtze befleissen müste. Doch es mag an wenig
genug seyn. Der unlängst der sterbligkeit entrißne
Gryphius war ohnstreitig ein grosser poete, und doch
darbey ein in re literaria, der civil-historie, geo-
graphie
und politischen wissenschafft ungemein ge-
lehrter mann. Und an was vor stücken der gelahr-
heit hat es wohl dem um das werthe vaterland so
hochverdienten Freyherrn von Abschatz und dem be-
rühmten Lohenstein gemangelt? Wer in der moral
und physic, denen zweyen stützen der rechten weis-

heit,

Vorrede.
ſchaffen. Die meiſten poeten laſſen ſich das feuer
ihrer imagination dahin reiſſen und auf viele abwege
verfuͤhren, wovon ſonderlich Jtalien viel exempel auf-
weiſen kan. Aber es giebt doch auch vorſichtige
tichter, die ihr ingenium durch ein reiffes urthel zu
maͤßigen wiſſen. Der verſtand iſt eine herrliche
krafft der menſchlichen ſeele: das ingenium auch; aber
wenn ſie von einem ſchlimmen hertzen geleitet und
verderbet werden, ſo muß man dieſes verderben nicht
ſo wohl ihnen, als dieſem zu ſchreiben. Daher iſt
es ein irrthum, wenn man die einbildungs-krafft blos
zur latte der narren, und alſo auch die poeſie zu einem
tummen thiere machen will, nach dem ſich ein weiſer
ihrer eben ſo wohl, und zwar mit groſſen nutzen, be-
dienen kan.

14. Die folgende beſchuldigung: daß die mit
dem judicio und gedaͤchtniß veꝛknuͤpfften wiſſenſchaff-
ten bey der poeſie nicht ſtehen koͤnnen, iſt ſchon wie-
derlegt, und koͤnnte man deren ungrund mit vielen
exempeln noch weiter umſtoſſen, wenn ich mich nicht
der kuͤrtze befleiſſen muͤſte. Doch es mag an wenig
genug ſeyn. Der unlaͤngſt der ſterbligkeit entrißne
Gryphius war ohnſtreitig ein groſſer poete, und doch
darbey ein in re literariâ, der civil-hiſtorie, geo-
graphie
und politiſchen wiſſenſchafft ungemein ge-
lehrter mann. Und an was vor ſtuͤcken der gelahr-
heit hat es wohl dem um das werthe vaterland ſo
hochverdienten Freyherrn von Abſchatz und dem be-
ruͤhmten Lohenſtein gemangelt? Wer in der moral
und phyſic, denen zweyen ſtuͤtzen der rechten weis-

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[0016] Vorrede. ſchaffen. Die meiſten poeten laſſen ſich das feuer ihrer imagination dahin reiſſen und auf viele abwege verfuͤhren, wovon ſonderlich Jtalien viel exempel auf- weiſen kan. Aber es giebt doch auch vorſichtige tichter, die ihr ingenium durch ein reiffes urthel zu maͤßigen wiſſen. Der verſtand iſt eine herrliche krafft der menſchlichen ſeele: das ingenium auch; aber wenn ſie von einem ſchlimmen hertzen geleitet und verderbet werden, ſo muß man dieſes verderben nicht ſo wohl ihnen, als dieſem zu ſchreiben. Daher iſt es ein irrthum, wenn man die einbildungs-krafft blos zur latte der narren, und alſo auch die poeſie zu einem tummen thiere machen will, nach dem ſich ein weiſer ihrer eben ſo wohl, und zwar mit groſſen nutzen, be- dienen kan. 14. Die folgende beſchuldigung: daß die mit dem judicio und gedaͤchtniß veꝛknuͤpfften wiſſenſchaff- ten bey der poeſie nicht ſtehen koͤnnen, iſt ſchon wie- derlegt, und koͤnnte man deren ungrund mit vielen exempeln noch weiter umſtoſſen, wenn ich mich nicht der kuͤrtze befleiſſen muͤſte. Doch es mag an wenig genug ſeyn. Der unlaͤngſt der ſterbligkeit entrißne Gryphius war ohnſtreitig ein groſſer poete, und doch darbey ein in re literariâ, der civil-hiſtorie, geo- graphie und politiſchen wiſſenſchafft ungemein ge- lehrter mann. Und an was vor ſtuͤcken der gelahr- heit hat es wohl dem um das werthe vaterland ſo hochverdienten Freyherrn von Abſchatz und dem be- ruͤhmten Lohenſtein gemangelt? Wer in der moral und phyſic, denen zweyen ſtuͤtzen der rechten weis- heit,

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/16>, abgerufen am 19.04.2024.