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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

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Vorrede.
stand und klugheit absprechen wollen, heist bey hel-
len tage die sonne leugnen. Jch beruffe mich noch-
mahlen auf die hochgemeldten vornehmen männer,
und ihre der unsterbligkeit würdige getichte, und auf
den unvergleichlichen Herrn von Lohenstein, dessen
poesien deutlich genug darthun, daß er ein uner-
schöpfflicher brunnen kluger, weiser und gelahrter ge-
dancken gewesen. Es ist wahr: Catullus, Joannes
Secundus,
und andre mehr, haben nicht viel erbauli-
ches in ihren versen; aber Juvenalis, Persius, Seneca,
Gryphius
und die bereits gemeldeten haben viel ver-
ständige sprüche und gescheide gedancken in ihre
göldne getichte versetzet. Ovidius selbst, über
dessen schlüpffrigen und wollüstigen beschreibungen
viele junge leute gleiten und fallen, hat nicht weni-
ger gute und weise, als schlimme und böse sätze in sei-
nen wercken; wie es mir denn nicht schwer fallen
solte, eine so gesunde morale aus seinen getichten zu-
sammlen und aufzuweisen, die, ich will nicht sagen
des Aristotelis, sondern wohl gar des Epicteti seiner
die wage halten würde.

13. Daß viele, oder auch die meisten poeten sich
eben nicht viel um die wahrheit bekümmern, ist wahr;
aber daß sie alle diesen so grossen schnitzer begehen,
wird niemand behaupten können. Wenigstens ist
die poesie unschuldig, als welche so gar keine feindin
nützlicher wahrheiten ist, daß sie vielmehr selbige
mitten in ihre fabeln zuverstecken, und durch ihren
ausputz andern beliebt zu machen weiß. Und so ist
es auch mit dem punct von der einbildungs-krafft be-

schaf-

Vorrede.
ſtand und klugheit abſprechen wollen, heiſt bey hel-
len tage die ſonne leugnen. Jch beruffe mich noch-
mahlen auf die hochgemeldten vornehmen maͤnner,
und ihre der unſterbligkeit wuͤrdige getichte, und auf
den unvergleichlichen Herrn von Lohenſtein, deſſen
poeſien deutlich genug darthun, daß er ein uner-
ſchoͤpfflicher brunnen kluger, weiſer und gelahrter ge-
dancken geweſen. Es iſt wahr: Catullus, Joannes
Secundus,
und andre mehr, haben nicht viel erbauli-
ches in ihren verſen; aber Juvenalis, Perſius, Seneca,
Gryphius
und die bereits gemeldeten haben viel ver-
ſtaͤndige ſpruͤche und geſcheide gedancken in ihre
goͤldne getichte verſetzet. Ovidius ſelbſt, uͤber
deſſen ſchluͤpffrigen und wolluͤſtigen beſchreibungen
viele junge leute gleiten und fallen, hat nicht weni-
ger gute und weiſe, als ſchlimme und boͤſe ſaͤtze in ſei-
nen wercken; wie es mir denn nicht ſchwer fallen
ſolte, eine ſo geſunde morale aus ſeinen getichten zu-
ſammlen und aufzuweiſen, die, ich will nicht ſagen
des Ariſtotelis, ſondern wohl gar des Epicteti ſeiner
die wage halten wuͤrde.

13. Daß viele, oder auch die meiſten poeten ſich
eben nicht viel um die wahrheit bekuͤmmern, iſt wahr;
aber daß ſie alle dieſen ſo groſſen ſchnitzer begehen,
wird niemand behaupten koͤnnen. Wenigſtens iſt
die poeſie unſchuldig, als welche ſo gar keine feindin
nuͤtzlicher wahrheiten iſt, daß ſie vielmehr ſelbige
mitten in ihre fabeln zuverſtecken, und durch ihren
ausputz andern beliebt zu machen weiß. Und ſo iſt
es auch mit dem punct von der einbildungs-krafft be-

ſchaf-
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[0015] Vorrede. ſtand und klugheit abſprechen wollen, heiſt bey hel- len tage die ſonne leugnen. Jch beruffe mich noch- mahlen auf die hochgemeldten vornehmen maͤnner, und ihre der unſterbligkeit wuͤrdige getichte, und auf den unvergleichlichen Herrn von Lohenſtein, deſſen poeſien deutlich genug darthun, daß er ein uner- ſchoͤpfflicher brunnen kluger, weiſer und gelahrter ge- dancken geweſen. Es iſt wahr: Catullus, Joannes Secundus, und andre mehr, haben nicht viel erbauli- ches in ihren verſen; aber Juvenalis, Perſius, Seneca, Gryphius und die bereits gemeldeten haben viel ver- ſtaͤndige ſpruͤche und geſcheide gedancken in ihre goͤldne getichte verſetzet. Ovidius ſelbſt, uͤber deſſen ſchluͤpffrigen und wolluͤſtigen beſchreibungen viele junge leute gleiten und fallen, hat nicht weni- ger gute und weiſe, als ſchlimme und boͤſe ſaͤtze in ſei- nen wercken; wie es mir denn nicht ſchwer fallen ſolte, eine ſo geſunde morale aus ſeinen getichten zu- ſammlen und aufzuweiſen, die, ich will nicht ſagen des Ariſtotelis, ſondern wohl gar des Epicteti ſeiner die wage halten wuͤrde. 13. Daß viele, oder auch die meiſten poeten ſich eben nicht viel um die wahrheit bekuͤmmern, iſt wahr; aber daß ſie alle dieſen ſo groſſen ſchnitzer begehen, wird niemand behaupten koͤnnen. Wenigſtens iſt die poeſie unſchuldig, als welche ſo gar keine feindin nuͤtzlicher wahrheiten iſt, daß ſie vielmehr ſelbige mitten in ihre fabeln zuverſtecken, und durch ihren ausputz andern beliebt zu machen weiß. Und ſo iſt es auch mit dem punct von der einbildungs-krafft be- ſchaf-

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/15>, abgerufen am 29.03.2024.