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Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Herrn von Hofmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte anderer Theil. Leipzig, 1697.

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Vermischte Gedichte.
Und alle todten sich in ihren särgern regen/
Und eine dürre leich aus iederm hügel gehn?
Hilf GOtt! was sind dies doch für scheußliche gesichte/
Und heßliche geripp mit schimmel angefeucht?
Wenn ich mein angesicht nach threm scheitel richte/
So schau ich eine schlang/ die aus demselben kreucht;
Und ihr entaugtes aug'/ und zungen-loser rachen/
Auch abgefleischte nas'/ die zeigen eine kluft/
Jn welcher tausend würm und grüne nattern wachen/
Draus iedes hier auf mich ein heis'res zischen rufft.
Sind dieses/ was ich schau/ wol menschen ie gewesen/
Und was ich itzund noch mit gelst und leben bin?
Aus dieser heßlichkeit ist solches kaum zu lesen;
Ach! ach! wo fället nicht des menschen leben hin?
Wie kan ich doch allhier an diesen knochen kennen/
Wer cron/ wer zepter trug/ wer einen betrel-stab?
Wen soll ich schön/ wen jung/ wen alt/ wen heßlich nennen?
Ein gleicher stempel pregt mir hier ein bildnüs ab.
Wen hat hierunter doch geschicklichkeit gezieret?
Wen tausendfache kunst? wen ein gelehrter geist?
Wer hat in kühner schlacht den degen wol geführet?
Wer ist der Julius/ der Alexander heißt?
Wer ist Justinian/ der uns gesetz geschrieben?
Wer ist Galen/ der hier der kräuter krafft erdacht?
Wer ist Demosthenes/ den alle redner lieben?
Und wer Virgilius/ der tichter ruhm und pracht?
Jch kenne keinen nicht hier seh' ich alle schweigen/
Wo nicht die schlange noch durch ihre kehle zischt;
Hier seh ich keinen nicht den fuß noch scheitel neigen/
Wo nicht ein truckner wind noch durchs gerippe gischt.
Hier schau ich/ was wir seyn/ und was wir endlich werden;
O anblick/ drob ich mich nicht gnug entsetzen kan!
Kommt alle/ die ihr lebt auf diesem rund der erden/
Und schant euch recht und wohl in diesem spiegel an.
Hier könnt ihr rechte kunst und wahre weißheit lesen;
Hier seht ihr euer bild fällt euer leben ein.
Wie
Vermiſchte Gedichte.
Und alle todten ſich in ihren ſaͤrgern regen/
Und eine duͤrre leich aus iederm huͤgel gehn?
Hilf GOtt! was ſind dies doch fuͤr ſcheußliche geſichte/
Und heßliche geripp mit ſchimmel angefeucht?
Wenn ich mein angeſicht nach threm ſcheitel richte/
So ſchau ich eine ſchlang/ die aus demſelben kreucht;
Und ihr entaugtes aug’/ und zungen-loſer rachen/
Auch abgefleiſchte naſ’/ die zeigen eine kluft/
Jn welcher tauſend wuͤrm und gruͤne nattern wachen/
Draus iedes hier auf mich ein heiſ’res ziſchen rufft.
Sind dieſes/ was ich ſchau/ wol menſchen ie geweſen/
Und was ich itzund noch mit gelſt und leben bin?
Aus dieſer heßlichkeit iſt ſolches kaum zu leſen;
Ach! ach! wo faͤllet nicht des menſchen leben hin?
Wie kan ich doch allhier an dieſen knochen kennen/
Wer cron/ wer zepter trug/ wer einen betrel-ſtab?
Wen ſoll ich ſchoͤn/ wen jung/ wen alt/ wen heßlich nennen?
Ein gleicher ſtempel pregt mir hier ein bildnuͤs ab.
Wen hat hierunter doch geſchicklichkeit gezieret?
Wen tauſendfache kunſt? wen ein gelehrter geiſt?
Wer hat in kuͤhner ſchlacht den degen wol gefuͤhret?
Wer iſt der Julius/ der Alexander heißt?
Wer iſt Juſtinian/ der uns geſetz geſchrieben?
Wer iſt Galen/ der hier der kraͤuter krafft erdacht?
Wer iſt Demoſthenes/ den alle redner lieben?
Und wer Virgilius/ der tichter ruhm und pracht?
Jch kenne keinen nicht hier ſeh’ ich alle ſchweigen/
Wo nicht die ſchlange noch durch ihre kehle ziſcht;
Hier ſeh ich keinen nicht den fuß noch ſcheitel neigen/
Wo nicht ein truckner wind noch durchs gerippe giſcht.
Hier ſchau ich/ was wir ſeyn/ und was wir endlich werden;
O anblick/ drob ich mich nicht gnug entſetzen kan!
Kommt alle/ die ihr lebt auf dieſem rund der erden/
Und ſchant euch recht und wohl in dieſem ſpiegel an.
Hier koͤnnt ihr rechte kunſt und wahre weißheit leſen;
Hier ſeht ihr euer bild faͤllt euer leben ein.
Wie
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[284/0300] Vermiſchte Gedichte. Und alle todten ſich in ihren ſaͤrgern regen/ Und eine duͤrre leich aus iederm huͤgel gehn? Hilf GOtt! was ſind dies doch fuͤr ſcheußliche geſichte/ Und heßliche geripp mit ſchimmel angefeucht? Wenn ich mein angeſicht nach threm ſcheitel richte/ So ſchau ich eine ſchlang/ die aus demſelben kreucht; Und ihr entaugtes aug’/ und zungen-loſer rachen/ Auch abgefleiſchte naſ’/ die zeigen eine kluft/ Jn welcher tauſend wuͤrm und gruͤne nattern wachen/ Draus iedes hier auf mich ein heiſ’res ziſchen rufft. Sind dieſes/ was ich ſchau/ wol menſchen ie geweſen/ Und was ich itzund noch mit gelſt und leben bin? Aus dieſer heßlichkeit iſt ſolches kaum zu leſen; Ach! ach! wo faͤllet nicht des menſchen leben hin? Wie kan ich doch allhier an dieſen knochen kennen/ Wer cron/ wer zepter trug/ wer einen betrel-ſtab? Wen ſoll ich ſchoͤn/ wen jung/ wen alt/ wen heßlich nennen? Ein gleicher ſtempel pregt mir hier ein bildnuͤs ab. Wen hat hierunter doch geſchicklichkeit gezieret? Wen tauſendfache kunſt? wen ein gelehrter geiſt? Wer hat in kuͤhner ſchlacht den degen wol gefuͤhret? Wer iſt der Julius/ der Alexander heißt? Wer iſt Juſtinian/ der uns geſetz geſchrieben? Wer iſt Galen/ der hier der kraͤuter krafft erdacht? Wer iſt Demoſthenes/ den alle redner lieben? Und wer Virgilius/ der tichter ruhm und pracht? Jch kenne keinen nicht hier ſeh’ ich alle ſchweigen/ Wo nicht die ſchlange noch durch ihre kehle ziſcht; Hier ſeh ich keinen nicht den fuß noch ſcheitel neigen/ Wo nicht ein truckner wind noch durchs gerippe giſcht. Hier ſchau ich/ was wir ſeyn/ und was wir endlich werden; O anblick/ drob ich mich nicht gnug entſetzen kan! Kommt alle/ die ihr lebt auf dieſem rund der erden/ Und ſchant euch recht und wohl in dieſem ſpiegel an. Hier koͤnnt ihr rechte kunſt und wahre weißheit leſen; Hier ſeht ihr euer bild faͤllt euer leben ein. Wie

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Zitationshilfe: Hofmann von Hofmannswaldau, Christian: Herrn von Hofmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte anderer Theil. Leipzig, 1697, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte02_1697/300>, abgerufen am 10.05.2024.