Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.um nur Aufschub zu erlangen, der Rath eines Rechtsverständigen dienlich sein könne. Pierre Arnaud d'Andilly war damals der berühmteste Advocat in Paris. Seiner tiefen Wissenschaft, seinem umfassenden Verstande war seine Rechtschaffenheit, seine Tugend gleich. Zu Dem begab sich die Scudery und sagte ihm Alles, so weit es möglich war, ohne Brusson's Geheimniß zu verletzen. Sie glaubte, daß d'Andilly mit Eifer sich des Unschuldigen annehmen werde, ihre Hoffnung wurde aber auf das Bitterste getäuscht. D'Andilly hatte ruhig Alles angehört und erwiderte dann lächelnd mit Boileau's Worten: Le vrai peut quelque fois n'etre pas vraisemblable. -- Er bewies der Scudery, daß die auffallendsten Verdachtsgründe wider Brusson sprächen, daß la Regnie's Verfahren keineswegs grausam und übereilt zu nennen, vielmehr ganz gesetzlich sei, ja daß er nicht anders handeln könne, ohne die Pflichten des Richters zu verletzen. Er, d'Andilly selbst, getraue sich nicht durch die geschickteste Vertheidigung Brusson von der Tortur zu retten. Nur Brusson selbst könne das entweder durch aufrichtiges Geständniß oder wenigstens durch die genaueste Erzählung der Umstände bei dem Morde Cardillac's, die dann vielleicht erst zu neuen Ausmittelungen Anlaß geben würden. -- So werfe ich mich dem Könige zu Füßen und flehe um Gnade, sprach die Scudery ganz außer sich mit von Thränen halb erstickter Stimme. -- Thut das, rief d'Audilly, thut das um des Himmels Willen nicht, mein Fräulein! -- Spart um nur Aufschub zu erlangen, der Rath eines Rechtsverständigen dienlich sein könne. Pierre Arnaud d'Andilly war damals der berühmteste Advocat in Paris. Seiner tiefen Wissenschaft, seinem umfassenden Verstande war seine Rechtschaffenheit, seine Tugend gleich. Zu Dem begab sich die Scudery und sagte ihm Alles, so weit es möglich war, ohne Brusson's Geheimniß zu verletzen. Sie glaubte, daß d'Andilly mit Eifer sich des Unschuldigen annehmen werde, ihre Hoffnung wurde aber auf das Bitterste getäuscht. D'Andilly hatte ruhig Alles angehört und erwiderte dann lächelnd mit Boileau's Worten: Le vrai peut quelque fois n’etre pas vraisemblable. — Er bewies der Scudery, daß die auffallendsten Verdachtsgründe wider Brusson sprächen, daß la Regnie's Verfahren keineswegs grausam und übereilt zu nennen, vielmehr ganz gesetzlich sei, ja daß er nicht anders handeln könne, ohne die Pflichten des Richters zu verletzen. Er, d'Andilly selbst, getraue sich nicht durch die geschickteste Vertheidigung Brusson von der Tortur zu retten. Nur Brusson selbst könne das entweder durch aufrichtiges Geständniß oder wenigstens durch die genaueste Erzählung der Umstände bei dem Morde Cardillac's, die dann vielleicht erst zu neuen Ausmittelungen Anlaß geben würden. — So werfe ich mich dem Könige zu Füßen und flehe um Gnade, sprach die Scudery ganz außer sich mit von Thränen halb erstickter Stimme. — Thut das, rief d'Audilly, thut das um des Himmels Willen nicht, mein Fräulein! — Spart <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0098"/> um nur Aufschub zu erlangen, der Rath eines Rechtsverständigen dienlich sein könne. Pierre Arnaud d'Andilly war damals der berühmteste Advocat in Paris. Seiner tiefen Wissenschaft, seinem umfassenden Verstande war seine Rechtschaffenheit, seine Tugend gleich. Zu Dem begab sich die Scudery und sagte ihm Alles, so weit es möglich war, ohne Brusson's Geheimniß zu verletzen. Sie glaubte, daß d'Andilly mit Eifer sich des Unschuldigen annehmen werde, ihre Hoffnung wurde aber auf das Bitterste getäuscht. D'Andilly hatte ruhig Alles angehört und erwiderte dann lächelnd mit Boileau's Worten: Le vrai peut quelque fois n’etre pas vraisemblable. — Er bewies der Scudery, daß die auffallendsten Verdachtsgründe wider Brusson sprächen, daß la Regnie's Verfahren keineswegs grausam und übereilt zu nennen, vielmehr ganz gesetzlich sei, ja daß er nicht anders handeln könne, ohne die Pflichten des Richters zu verletzen. Er, d'Andilly selbst, getraue sich nicht durch die geschickteste Vertheidigung Brusson von der Tortur zu retten. Nur Brusson selbst könne das entweder durch aufrichtiges Geständniß oder wenigstens durch die genaueste Erzählung der Umstände bei dem Morde Cardillac's, die dann vielleicht erst zu neuen Ausmittelungen Anlaß geben würden. — So werfe ich mich dem Könige zu Füßen und flehe um Gnade, sprach die Scudery ganz außer sich mit von Thränen halb erstickter Stimme. — Thut das, rief d'Audilly, thut das um des Himmels Willen nicht, mein Fräulein! — Spart<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
um nur Aufschub zu erlangen, der Rath eines Rechtsverständigen dienlich sein könne. Pierre Arnaud d'Andilly war damals der berühmteste Advocat in Paris. Seiner tiefen Wissenschaft, seinem umfassenden Verstande war seine Rechtschaffenheit, seine Tugend gleich. Zu Dem begab sich die Scudery und sagte ihm Alles, so weit es möglich war, ohne Brusson's Geheimniß zu verletzen. Sie glaubte, daß d'Andilly mit Eifer sich des Unschuldigen annehmen werde, ihre Hoffnung wurde aber auf das Bitterste getäuscht. D'Andilly hatte ruhig Alles angehört und erwiderte dann lächelnd mit Boileau's Worten: Le vrai peut quelque fois n’etre pas vraisemblable. — Er bewies der Scudery, daß die auffallendsten Verdachtsgründe wider Brusson sprächen, daß la Regnie's Verfahren keineswegs grausam und übereilt zu nennen, vielmehr ganz gesetzlich sei, ja daß er nicht anders handeln könne, ohne die Pflichten des Richters zu verletzen. Er, d'Andilly selbst, getraue sich nicht durch die geschickteste Vertheidigung Brusson von der Tortur zu retten. Nur Brusson selbst könne das entweder durch aufrichtiges Geständniß oder wenigstens durch die genaueste Erzählung der Umstände bei dem Morde Cardillac's, die dann vielleicht erst zu neuen Ausmittelungen Anlaß geben würden. — So werfe ich mich dem Könige zu Füßen und flehe um Gnade, sprach die Scudery ganz außer sich mit von Thränen halb erstickter Stimme. — Thut das, rief d'Audilly, thut das um des Himmels Willen nicht, mein Fräulein! — Spart
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Zitationshilfe: | Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/98>, abgerufen am 28.07.2024. |