Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Abend sagt' ich ihr, ich willige in Alles und werde dich heute holen. Da ist sie über Nacht aufgeblüht, wie eine Rose, und harrt nun auf dich ganz außer sich vor Liebessehnsucht. -- Mag es mir die ewige Macht des Himmels verzeihen, aber selbst weiß ich nicht, wie es geschah, daß ich plötzlich in Cardillac's Hause stand, daß Madelon laut aufjauchzend: Olivier -- mein Olivier -- mein Geliebter -- mein Gatte! auf mich gestürzt, mich mit beiden Armen umschlang, mich fest an ihre Brust drückte, daß ich im Uebermaß des höchsten Entzückens bei der Jungfrau und allen Heiligen schwor, sie nimmer, nimmer zu verlassen.

Erschüttert von dem Andenken an diesen entscheidenden Augenblick mußte Olivier inne halten. Die Scudery, von Grausen erfüllt über die Unthat eines Mannes, den sie für die Tugend, die Rechtschaffenheit selbst gehalten, rief: Entsetzlich! Rene Cardillac gehört zu der Mordbande, die unsere gute Stadt so lange zur Räuberhöhle machte? -- Was sagt Ihr, mein Fräulein, sprach Olivier, zur Bande? Nie hat es eine solche Bande gegeben. Cardillac allein war es, der mit verruchter Thätigkeit in der ganzen Stadt seine Schlachtopfer suchte und fand. Daß er es allein war, darin liegt die Sicherheit, womit er seine Streiche führte, die unüberwundene Schwierigkeit, dem Mörder auf die Spur zu kommen. Doch laßt mich fortfahren, der Verfolg wird Euch die Geheimnisse des verruchtesten und zugleich unglücklichsten aller Menschen aufklären. Die Lage,

Abend sagt' ich ihr, ich willige in Alles und werde dich heute holen. Da ist sie über Nacht aufgeblüht, wie eine Rose, und harrt nun auf dich ganz außer sich vor Liebessehnsucht. — Mag es mir die ewige Macht des Himmels verzeihen, aber selbst weiß ich nicht, wie es geschah, daß ich plötzlich in Cardillac's Hause stand, daß Madelon laut aufjauchzend: Olivier — mein Olivier — mein Geliebter — mein Gatte! auf mich gestürzt, mich mit beiden Armen umschlang, mich fest an ihre Brust drückte, daß ich im Uebermaß des höchsten Entzückens bei der Jungfrau und allen Heiligen schwor, sie nimmer, nimmer zu verlassen.

Erschüttert von dem Andenken an diesen entscheidenden Augenblick mußte Olivier inne halten. Die Scudery, von Grausen erfüllt über die Unthat eines Mannes, den sie für die Tugend, die Rechtschaffenheit selbst gehalten, rief: Entsetzlich! René Cardillac gehört zu der Mordbande, die unsere gute Stadt so lange zur Räuberhöhle machte? — Was sagt Ihr, mein Fräulein, sprach Olivier, zur Bande? Nie hat es eine solche Bande gegeben. Cardillac allein war es, der mit verruchter Thätigkeit in der ganzen Stadt seine Schlachtopfer suchte und fand. Daß er es allein war, darin liegt die Sicherheit, womit er seine Streiche führte, die unüberwundene Schwierigkeit, dem Mörder auf die Spur zu kommen. Doch laßt mich fortfahren, der Verfolg wird Euch die Geheimnisse des verruchtesten und zugleich unglücklichsten aller Menschen aufklären. Die Lage,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0081"/>
Abend sagt'                ich ihr, ich willige in Alles und werde dich heute holen. Da ist sie über Nacht                aufgeblüht, wie eine Rose, und harrt nun auf dich ganz außer sich vor                Liebessehnsucht. &#x2014; Mag es mir die ewige Macht des Himmels verzeihen, aber selbst weiß                ich nicht, wie es geschah, daß ich plötzlich in Cardillac's Hause stand, daß Madelon                laut aufjauchzend: Olivier &#x2014; mein Olivier &#x2014; mein Geliebter &#x2014; mein Gatte! auf mich                gestürzt, mich mit beiden Armen umschlang, mich fest an ihre Brust drückte, daß ich                im Uebermaß des höchsten Entzückens bei der Jungfrau und allen Heiligen schwor, sie                nimmer, nimmer zu verlassen.</p><lb/>
        <p>Erschüttert von dem Andenken an diesen entscheidenden Augenblick mußte Olivier inne                halten. Die Scudery, von Grausen erfüllt über die Unthat eines Mannes, den sie für                die Tugend, die Rechtschaffenheit selbst gehalten, rief: Entsetzlich! René Cardillac                gehört zu der Mordbande, die unsere gute Stadt so lange zur Räuberhöhle machte? &#x2014; Was                sagt Ihr, mein Fräulein, sprach Olivier, zur Bande? Nie hat es eine solche Bande                gegeben. Cardillac allein war es, der mit verruchter Thätigkeit in der ganzen Stadt                seine Schlachtopfer suchte und fand. Daß er es allein war, darin liegt die                Sicherheit, womit er seine Streiche führte, die unüberwundene Schwierigkeit, dem                Mörder auf die Spur zu kommen. Doch laßt mich fortfahren, der Verfolg wird Euch die                Geheimnisse des verruchtesten und zugleich unglücklichsten aller Menschen aufklären.                Die Lage,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0081] Abend sagt' ich ihr, ich willige in Alles und werde dich heute holen. Da ist sie über Nacht aufgeblüht, wie eine Rose, und harrt nun auf dich ganz außer sich vor Liebessehnsucht. — Mag es mir die ewige Macht des Himmels verzeihen, aber selbst weiß ich nicht, wie es geschah, daß ich plötzlich in Cardillac's Hause stand, daß Madelon laut aufjauchzend: Olivier — mein Olivier — mein Geliebter — mein Gatte! auf mich gestürzt, mich mit beiden Armen umschlang, mich fest an ihre Brust drückte, daß ich im Uebermaß des höchsten Entzückens bei der Jungfrau und allen Heiligen schwor, sie nimmer, nimmer zu verlassen. Erschüttert von dem Andenken an diesen entscheidenden Augenblick mußte Olivier inne halten. Die Scudery, von Grausen erfüllt über die Unthat eines Mannes, den sie für die Tugend, die Rechtschaffenheit selbst gehalten, rief: Entsetzlich! René Cardillac gehört zu der Mordbande, die unsere gute Stadt so lange zur Räuberhöhle machte? — Was sagt Ihr, mein Fräulein, sprach Olivier, zur Bande? Nie hat es eine solche Bande gegeben. Cardillac allein war es, der mit verruchter Thätigkeit in der ganzen Stadt seine Schlachtopfer suchte und fand. Daß er es allein war, darin liegt die Sicherheit, womit er seine Streiche führte, die unüberwundene Schwierigkeit, dem Mörder auf die Spur zu kommen. Doch laßt mich fortfahren, der Verfolg wird Euch die Geheimnisse des verruchtesten und zugleich unglücklichsten aller Menschen aufklären. Die Lage,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/81
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/81>, abgerufen am 02.05.2024.