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Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Die Scudery, ihn noch aufmerksamer betrachtend, erwiderte, daß sie allerdings in seinen Zügen eine Aehnlichkeit mit einer von ihr geliebten Person gefunden, und daß er nur dieser Aehnlichkeit es verdanke, wenn sie den tiefen Abscheu vor dem Mörder überwinde und ihn ruhig anhöre. Brusson, schwer verletzt durch diese Worte, erhob sich schnell und trat, den finstern Blick zu Boden gesenkt, einen Schritt zurück. Dann sprach er mit dumpfer Stimme: Habt Ihr denn Anne Guiot ganz vergessen? -- Ihr Sohn Olivier, -- der Knabe, den Ihr oft auf Euern Knieen schaukeltet, ist es, der vor Euch steht. -- O um aller Heiligen willen, rief die Scudery, indem sie, mit beiden Händen das Gesicht bedeckend, in die Polster zurücksank. -- Das Fräulein hatte wohl Ursache genug, sich auf diese Weise zu entsetzen. Anne Guiot, die Tochter eines verarmten Bürgers, war von klein auf bei der Scudery, die sie, wie die Mutter das liebe Kind, erzog mit aller Treue und Sorgfalt. Als sie nun herangewachsen, fand sich ein hübscher sittiger Jüngling, Claude Brusson geheißen, ein, der um das Mädchen warb. Da er ein grundgeschickter Uhrmacher war, der sein reichliches Brod in Paris finden mußte, Anne ihn auch herzlich lieb gewonnen hatte, so trug die Scudery gar kein Bedenken, in die Heirath ihrer Pflegetochter zu willigen. Die jungen Leute richteten sich ein, lebten in stiller, glücklicher Häuslichkeit, und was den Liebesbund noch fester knüpfte, war die Geburt eines wunderschönen Knaben, der holden Mutter treues Ebenbild.

Die Scudery, ihn noch aufmerksamer betrachtend, erwiderte, daß sie allerdings in seinen Zügen eine Aehnlichkeit mit einer von ihr geliebten Person gefunden, und daß er nur dieser Aehnlichkeit es verdanke, wenn sie den tiefen Abscheu vor dem Mörder überwinde und ihn ruhig anhöre. Brusson, schwer verletzt durch diese Worte, erhob sich schnell und trat, den finstern Blick zu Boden gesenkt, einen Schritt zurück. Dann sprach er mit dumpfer Stimme: Habt Ihr denn Anne Guiot ganz vergessen? — Ihr Sohn Olivier, — der Knabe, den Ihr oft auf Euern Knieen schaukeltet, ist es, der vor Euch steht. — O um aller Heiligen willen, rief die Scudery, indem sie, mit beiden Händen das Gesicht bedeckend, in die Polster zurücksank. — Das Fräulein hatte wohl Ursache genug, sich auf diese Weise zu entsetzen. Anne Guiot, die Tochter eines verarmten Bürgers, war von klein auf bei der Scudery, die sie, wie die Mutter das liebe Kind, erzog mit aller Treue und Sorgfalt. Als sie nun herangewachsen, fand sich ein hübscher sittiger Jüngling, Claude Brusson geheißen, ein, der um das Mädchen warb. Da er ein grundgeschickter Uhrmacher war, der sein reichliches Brod in Paris finden mußte, Anne ihn auch herzlich lieb gewonnen hatte, so trug die Scudery gar kein Bedenken, in die Heirath ihrer Pflegetochter zu willigen. Die jungen Leute richteten sich ein, lebten in stiller, glücklicher Häuslichkeit, und was den Liebesbund noch fester knüpfte, war die Geburt eines wunderschönen Knaben, der holden Mutter treues Ebenbild.

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[0070] Die Scudery, ihn noch aufmerksamer betrachtend, erwiderte, daß sie allerdings in seinen Zügen eine Aehnlichkeit mit einer von ihr geliebten Person gefunden, und daß er nur dieser Aehnlichkeit es verdanke, wenn sie den tiefen Abscheu vor dem Mörder überwinde und ihn ruhig anhöre. Brusson, schwer verletzt durch diese Worte, erhob sich schnell und trat, den finstern Blick zu Boden gesenkt, einen Schritt zurück. Dann sprach er mit dumpfer Stimme: Habt Ihr denn Anne Guiot ganz vergessen? — Ihr Sohn Olivier, — der Knabe, den Ihr oft auf Euern Knieen schaukeltet, ist es, der vor Euch steht. — O um aller Heiligen willen, rief die Scudery, indem sie, mit beiden Händen das Gesicht bedeckend, in die Polster zurücksank. — Das Fräulein hatte wohl Ursache genug, sich auf diese Weise zu entsetzen. Anne Guiot, die Tochter eines verarmten Bürgers, war von klein auf bei der Scudery, die sie, wie die Mutter das liebe Kind, erzog mit aller Treue und Sorgfalt. Als sie nun herangewachsen, fand sich ein hübscher sittiger Jüngling, Claude Brusson geheißen, ein, der um das Mädchen warb. Da er ein grundgeschickter Uhrmacher war, der sein reichliches Brod in Paris finden mußte, Anne ihn auch herzlich lieb gewonnen hatte, so trug die Scudery gar kein Bedenken, in die Heirath ihrer Pflegetochter zu willigen. Die jungen Leute richteten sich ein, lebten in stiller, glücklicher Häuslichkeit, und was den Liebesbund noch fester knüpfte, war die Geburt eines wunderschönen Knaben, der holden Mutter treues Ebenbild.

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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/70>, abgerufen am 02.05.2024.