Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

chen brachte! -- Die Scudery beruhigte die Arme, indem sie ihr vorstellte, daß ja durchaus nichts Böses geschehen, und daß es nur darauf ankomme, zu wissen, was der Zettel enthalte. Sie schlug das Blättchen auseinander und fand die Worte:

"Ein böses Verhängniß, das Ihr abwenden konntet, stößt mich in den Abgrund! -- Ich beschwöre Euch, wie der Sohn die Mutter, von der er nicht lassen kann, in der vollsten Glut kindlicher Liebe, den Halsschmuck und die Armbänder, die Ihr durch mich erhieltet, unter irgend einem Vorwand -- um irgend etwas daran bessern -- ändern zu lassen, zum Meister Rene Cardillac zu schaffen; Euer Wohl, Euer Leben hängt davon ab. Thut Ihr es nicht bis übermorgen, so dringe ich in Eure Wohnung und ermorde mich vor Euern Augen!"

Nun ist es gewiß, sprach die Scudery, als sie dies gelesen, daß, mag der geheimnißvolle Mensch auch wirklich zu der Bande verruchter Diebe und Mörder gehören, er doch gegen mich nichts Böses im Schilde führt. Wäre es ihm gelungen, mich in jener Nacht zu sprechen, wer weiß, welches sonderbare Ereigniß, welch dunkles Verhältniß der Dinge mir klar worden, von dem ich jetzt auch nur die leiseste Ahnung vergebens in meiner Seele suche. Mag aber auch die Sache sich nun verhalten, wie sie will, das, was mir in diesem Blatte geboten wird, werde ich thun, und geschähe es auch nur, um den unseligen Schmuck los zu werden, der mir ein höl-

chen brachte! — Die Scudery beruhigte die Arme, indem sie ihr vorstellte, daß ja durchaus nichts Böses geschehen, und daß es nur darauf ankomme, zu wissen, was der Zettel enthalte. Sie schlug das Blättchen auseinander und fand die Worte:

„Ein böses Verhängniß, das Ihr abwenden konntet, stößt mich in den Abgrund! — Ich beschwöre Euch, wie der Sohn die Mutter, von der er nicht lassen kann, in der vollsten Glut kindlicher Liebe, den Halsschmuck und die Armbänder, die Ihr durch mich erhieltet, unter irgend einem Vorwand — um irgend etwas daran bessern — ändern zu lassen, zum Meister René Cardillac zu schaffen; Euer Wohl, Euer Leben hängt davon ab. Thut Ihr es nicht bis übermorgen, so dringe ich in Eure Wohnung und ermorde mich vor Euern Augen!“

Nun ist es gewiß, sprach die Scudery, als sie dies gelesen, daß, mag der geheimnißvolle Mensch auch wirklich zu der Bande verruchter Diebe und Mörder gehören, er doch gegen mich nichts Böses im Schilde führt. Wäre es ihm gelungen, mich in jener Nacht zu sprechen, wer weiß, welches sonderbare Ereigniß, welch dunkles Verhältniß der Dinge mir klar worden, von dem ich jetzt auch nur die leiseste Ahnung vergebens in meiner Seele suche. Mag aber auch die Sache sich nun verhalten, wie sie will, das, was mir in diesem Blatte geboten wird, werde ich thun, und geschähe es auch nur, um den unseligen Schmuck los zu werden, der mir ein höl-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0049"/>
chen brachte! &#x2014; Die                Scudery beruhigte die Arme, indem sie ihr vorstellte, daß ja durchaus nichts Böses                geschehen, und daß es nur darauf ankomme, zu wissen, was der Zettel enthalte. Sie                schlug das Blättchen auseinander und fand die Worte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein böses Verhängniß, das Ihr abwenden konntet, stößt mich in den Abgrund! &#x2014; Ich                beschwöre Euch, wie der Sohn die Mutter, von der er nicht lassen kann, in der                vollsten Glut kindlicher Liebe, den Halsschmuck und die Armbänder, die Ihr durch mich                erhieltet, unter irgend einem Vorwand &#x2014; um irgend etwas daran bessern &#x2014; ändern zu                lassen, zum Meister René Cardillac zu schaffen; Euer Wohl, Euer Leben hängt davon ab.                Thut Ihr es nicht bis übermorgen, so dringe ich in Eure Wohnung und ermorde mich vor                Euern Augen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nun ist es gewiß, sprach die Scudery, als sie dies gelesen, daß, mag der                geheimnißvolle Mensch auch wirklich zu der Bande verruchter Diebe und Mörder gehören,                er doch gegen mich nichts Böses im Schilde führt. Wäre es ihm gelungen, mich in jener                Nacht zu sprechen, wer weiß, welches sonderbare Ereigniß, welch dunkles Verhältniß                der Dinge mir klar worden, von dem ich jetzt auch nur die leiseste Ahnung vergebens                in meiner Seele suche. Mag aber auch die Sache sich nun verhalten, wie sie will, das,                was mir in diesem Blatte geboten wird, werde ich thun, und geschähe es auch nur, um                den unseligen Schmuck los zu werden, der mir ein höl-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] chen brachte! — Die Scudery beruhigte die Arme, indem sie ihr vorstellte, daß ja durchaus nichts Böses geschehen, und daß es nur darauf ankomme, zu wissen, was der Zettel enthalte. Sie schlug das Blättchen auseinander und fand die Worte: „Ein böses Verhängniß, das Ihr abwenden konntet, stößt mich in den Abgrund! — Ich beschwöre Euch, wie der Sohn die Mutter, von der er nicht lassen kann, in der vollsten Glut kindlicher Liebe, den Halsschmuck und die Armbänder, die Ihr durch mich erhieltet, unter irgend einem Vorwand — um irgend etwas daran bessern — ändern zu lassen, zum Meister René Cardillac zu schaffen; Euer Wohl, Euer Leben hängt davon ab. Thut Ihr es nicht bis übermorgen, so dringe ich in Eure Wohnung und ermorde mich vor Euern Augen!“ Nun ist es gewiß, sprach die Scudery, als sie dies gelesen, daß, mag der geheimnißvolle Mensch auch wirklich zu der Bande verruchter Diebe und Mörder gehören, er doch gegen mich nichts Böses im Schilde führt. Wäre es ihm gelungen, mich in jener Nacht zu sprechen, wer weiß, welches sonderbare Ereigniß, welch dunkles Verhältniß der Dinge mir klar worden, von dem ich jetzt auch nur die leiseste Ahnung vergebens in meiner Seele suche. Mag aber auch die Sache sich nun verhalten, wie sie will, das, was mir in diesem Blatte geboten wird, werde ich thun, und geschähe es auch nur, um den unseligen Schmuck los zu werden, der mir ein höl-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/49
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/49>, abgerufen am 24.11.2024.