ein Jahr verging ihnen in ungetrübter Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weise zu kränkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebenslust, alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemühungen seiner Ge¬ mahlin, das Geheimniß ihm zu entreißen, das sein Innerstes verderblich zu verstören schien. -- Als endlich tiefe Ohnmachten seinen Zustand lebensge¬ fährlich machten, gab er den Aerzten nach und ging angeblich nach Pisa. -- Gabriele konnte nicht mit¬ reisen, da sie ihrer Niederkunft entgegen sah, die indessen erst nach mehrern Wochen erfolgte. -- "Hier," sprach der Arzt, "werden die Mittheilun¬ gen der Gräfin Gabriele von S. so rhapsodisch, daß nur ein tieferer Blick den näheren Zusammenhang auffassen kann." -- Genug -- ihr Kind, ein Mädgen, verschwindet auf unbegreifliche Weise aus der Wiege, alle Nachforschungen bleiben verge¬ bens -- ihre Trostlosigkeit geht bis zur Verzweif¬ lung, als zur selbigen Zeit Graf von Z. ihr die entsetzliche Nachricht schreibt, daß er den Schwie¬
ein Jahr verging ihnen in ungetruͤbter Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weiſe zu kraͤnkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebensluſt, alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemuͤhungen ſeiner Ge¬ mahlin, das Geheimniß ihm zu entreißen, das ſein Innerſtes verderblich zu verſtoͤren ſchien. — Als endlich tiefe Ohnmachten ſeinen Zuſtand lebensge¬ faͤhrlich machten, gab er den Aerzten nach und ging angeblich nach Piſa. — Gabriele konnte nicht mit¬ reiſen, da ſie ihrer Niederkunft entgegen ſah, die indeſſen erſt nach mehrern Wochen erfolgte. — „Hier,“ ſprach der Arzt, „werden die Mittheilun¬ gen der Graͤfin Gabriele von S. ſo rhapſodiſch, daß nur ein tieferer Blick den naͤheren Zuſammenhang auffaſſen kann.“ — Genug — ihr Kind, ein Maͤdgen, verſchwindet auf unbegreifliche Weiſe aus der Wiege, alle Nachforſchungen bleiben verge¬ bens — ihre Troſtloſigkeit geht bis zur Verzweif¬ lung, als zur ſelbigen Zeit Graf von Z. ihr die entſetzliche Nachricht ſchreibt, daß er den Schwie¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0077"n="69"/>
ein Jahr verging ihnen in ungetruͤbter Heiterkeit.<lb/>
Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weiſe zu<lb/>
kraͤnkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer<lb/>
Schmerz alle Lebensluſt, alle Lebenskraft raube,<lb/>
und vergebens waren alle Bemuͤhungen ſeiner Ge¬<lb/>
mahlin, das Geheimniß ihm zu entreißen, das ſein<lb/>
Innerſtes verderblich zu verſtoͤren ſchien. — Als<lb/>
endlich tiefe Ohnmachten ſeinen Zuſtand lebensge¬<lb/>
faͤhrlich machten, gab er den Aerzten nach und ging<lb/>
angeblich nach Piſa. — Gabriele konnte nicht mit¬<lb/>
reiſen, da ſie ihrer Niederkunft entgegen ſah, die<lb/>
indeſſen erſt nach mehrern Wochen erfolgte. —<lb/>„Hier,“ſprach der Arzt, „werden die Mittheilun¬<lb/>
gen der Graͤfin Gabriele von S. ſo rhapſodiſch, daß<lb/>
nur ein tieferer Blick den naͤheren Zuſammenhang<lb/>
auffaſſen kann.“— Genug — ihr Kind, ein<lb/>
Maͤdgen, verſchwindet auf unbegreifliche Weiſe<lb/>
aus der Wiege, alle Nachforſchungen bleiben verge¬<lb/>
bens — ihre Troſtloſigkeit geht bis zur Verzweif¬<lb/>
lung, als zur ſelbigen Zeit Graf von Z. ihr die<lb/>
entſetzliche Nachricht ſchreibt, daß er den Schwie¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[69/0077]
ein Jahr verging ihnen in ungetruͤbter Heiterkeit.
Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weiſe zu
kraͤnkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer
Schmerz alle Lebensluſt, alle Lebenskraft raube,
und vergebens waren alle Bemuͤhungen ſeiner Ge¬
mahlin, das Geheimniß ihm zu entreißen, das ſein
Innerſtes verderblich zu verſtoͤren ſchien. — Als
endlich tiefe Ohnmachten ſeinen Zuſtand lebensge¬
faͤhrlich machten, gab er den Aerzten nach und ging
angeblich nach Piſa. — Gabriele konnte nicht mit¬
reiſen, da ſie ihrer Niederkunft entgegen ſah, die
indeſſen erſt nach mehrern Wochen erfolgte. —
„Hier,“ ſprach der Arzt, „werden die Mittheilun¬
gen der Graͤfin Gabriele von S. ſo rhapſodiſch, daß
nur ein tieferer Blick den naͤheren Zuſammenhang
auffaſſen kann.“ — Genug — ihr Kind, ein
Maͤdgen, verſchwindet auf unbegreifliche Weiſe
aus der Wiege, alle Nachforſchungen bleiben verge¬
bens — ihre Troſtloſigkeit geht bis zur Verzweif¬
lung, als zur ſelbigen Zeit Graf von Z. ihr die
entſetzliche Nachricht ſchreibt, daß er den Schwie¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/77>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.