sorglos ließ sie ihre Hand in der seinigen, wenn er im Zimmer neben ihr sitzend von dem glück¬ lichen Stanislaus erzählte. Kam es nicht auf Staatshändel, auf die Sache des Vaterlandes an, so war Graf Nepomuk eben keines Blickes in die Tiefe fähig, er begnügte sich mit dem, was er auf der Oberfläche wahrzunehmen im Stande, sein für alles übrige todtes Gemüth vermochte die vorüberfliehenden Bilder des Lebens nur dem Spiegel gleich im Moment zu reflektiren, spurlos schwanden sie dahin. Ohne Hermenegilda's inne¬ res Wesen zu ahnen, hielt er es für gut, daß sie endlich die Püppchen, die bei ihrem thörigten wahnsinnigen Treiben den Geliebten vorstellen mußten, mit einem lebendigen Jüngling vertauscht, und glaubte mit vieler Schlauheit vorauszusehen, daß Xaver, der ihm als Schwiegersohn eben so lieb, bald ganz in Stanislaus Stelle treten werde. Er dachte nicht mehr an den treuen Stanislaus. Xaver glaubte dieses ebenfalls, da nun, nachdem ein Paar Monate vergangen, Hermenegilda, so
ſorglos ließ ſie ihre Hand in der ſeinigen, wenn er im Zimmer neben ihr ſitzend von dem gluͤck¬ lichen Stanislaus erzaͤhlte. Kam es nicht auf Staatshaͤndel, auf die Sache des Vaterlandes an, ſo war Graf Nepomuk eben keines Blickes in die Tiefe faͤhig, er begnuͤgte ſich mit dem, was er auf der Oberflaͤche wahrzunehmen im Stande, ſein fuͤr alles uͤbrige todtes Gemuͤth vermochte die voruͤberfliehenden Bilder des Lebens nur dem Spiegel gleich im Moment zu reflektiren, ſpurlos ſchwanden ſie dahin. Ohne Hermenegilda's inne¬ res Weſen zu ahnen, hielt er es fuͤr gut, daß ſie endlich die Puͤppchen, die bei ihrem thoͤrigten wahnſinnigen Treiben den Geliebten vorſtellen mußten, mit einem lebendigen Juͤngling vertauſcht, und glaubte mit vieler Schlauheit vorauszuſehen, daß Xaver, der ihm als Schwiegerſohn eben ſo lieb, bald ganz in Stanislaus Stelle treten werde. Er dachte nicht mehr an den treuen Stanislaus. Xaver glaubte dieſes ebenfalls, da nun, nachdem ein Paar Monate vergangen, Hermenegilda, ſo
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ſorglos ließ ſie ihre Hand in der ſeinigen, wenn
er im Zimmer neben ihr ſitzend von dem gluͤck¬
lichen Stanislaus erzaͤhlte. Kam es nicht auf
Staatshaͤndel, auf die Sache des Vaterlandes an,
ſo war Graf Nepomuk eben keines Blickes in
die Tiefe faͤhig, er begnuͤgte ſich mit dem, was
er auf der Oberflaͤche wahrzunehmen im Stande,
ſein fuͤr alles uͤbrige todtes Gemuͤth vermochte
die voruͤberfliehenden Bilder des Lebens nur dem
Spiegel gleich im Moment zu reflektiren, ſpurlos
ſchwanden ſie dahin. Ohne Hermenegilda's inne¬
res Weſen zu ahnen, hielt er es fuͤr gut, daß
ſie endlich die Puͤppchen, die bei ihrem thoͤrigten
wahnſinnigen Treiben den Geliebten vorſtellen
mußten, mit einem lebendigen Juͤngling vertauſcht,
und glaubte mit vieler Schlauheit vorauszuſehen,
daß Xaver, der ihm als Schwiegerſohn eben ſo
lieb, bald ganz in Stanislaus Stelle treten werde.
Er dachte nicht mehr an den treuen Stanislaus.
Xaver glaubte dieſes ebenfalls, da nun, nachdem
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/301>, abgerufen am 23.11.2024.
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