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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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Genf, um das geliebte Weib zu holen. Noch ehe
er diesen Entschluß ausführen konnte, ereilte ihn
der Tod. Hubert verschwieg sorglich was ihm von
dem Daseyn eines in der Ehe mit Julien erzeugten
Sohnes bekannt und riß so das Majorat an sich,
das diesem gebührte. Doch nur wenige Jahre wa¬
ren vergangen, als ihn tiefe Reue ergriff. Das
Schicksal mahnte ihn an seine Schuld auf fürchter¬
liche Weise durch den Haß, der zwischen seinen bei¬
den Söhnen mehr und mehr emporkeimte. "Du
bist ein armer dürftiger Schlucker," sagte der älte¬
ste, ein zwölfjähriger Knabe zu dem jüngsten,
"aber ich werde, wenn der Vater stirbt, Majorats¬
herr von R..sitten, und da mußt du demüthig
seyn und mir die Hand küssen, wenn ich dir Geld
geben soll zum neuen Rock" -- Der jüngste, in
volle Wuth gerathen über des Bruders höhnenden
Stolz, warf das Messer, das er gerade in der
Hand hatte, nach ihm hin und traf ihn beinahe
zum Tode. Hubert, großes Unglück fürchtend,
schickte den jüngsten fort nach Petersburg, wo er

Genf, um das geliebte Weib zu holen. Noch ehe
er dieſen Entſchluß ausfuͤhren konnte, ereilte ihn
der Tod. Hubert verſchwieg ſorglich was ihm von
dem Daſeyn eines in der Ehe mit Julien erzeugten
Sohnes bekannt und riß ſo das Majorat an ſich,
das dieſem gebuͤhrte. Doch nur wenige Jahre wa¬
ren vergangen, als ihn tiefe Reue ergriff. Das
Schickſal mahnte ihn an ſeine Schuld auf fuͤrchter¬
liche Weiſe durch den Haß, der zwiſchen ſeinen bei¬
den Soͤhnen mehr und mehr emporkeimte. „Du
biſt ein armer duͤrftiger Schlucker,“ ſagte der aͤlte¬
ſte, ein zwoͤlfjaͤhriger Knabe zu dem juͤngſten,
„aber ich werde, wenn der Vater ſtirbt, Majorats¬
herr von R..ſitten, und da mußt du demuͤthig
ſeyn und mir die Hand kuͤſſen, wenn ich dir Geld
geben ſoll zum neuen Rock“ — Der juͤngſte, in
volle Wuth gerathen uͤber des Bruders hoͤhnenden
Stolz, warf das Meſſer, das er gerade in der
Hand hatte, nach ihm hin und traf ihn beinahe
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[245/0253] Genf, um das geliebte Weib zu holen. Noch ehe er dieſen Entſchluß ausfuͤhren konnte, ereilte ihn der Tod. Hubert verſchwieg ſorglich was ihm von dem Daſeyn eines in der Ehe mit Julien erzeugten Sohnes bekannt und riß ſo das Majorat an ſich, das dieſem gebuͤhrte. Doch nur wenige Jahre wa¬ ren vergangen, als ihn tiefe Reue ergriff. Das Schickſal mahnte ihn an ſeine Schuld auf fuͤrchter¬ liche Weiſe durch den Haß, der zwiſchen ſeinen bei¬ den Soͤhnen mehr und mehr emporkeimte. „Du biſt ein armer duͤrftiger Schlucker,“ ſagte der aͤlte¬ ſte, ein zwoͤlfjaͤhriger Knabe zu dem juͤngſten, „aber ich werde, wenn der Vater ſtirbt, Majorats¬ herr von R..ſitten, und da mußt du demuͤthig ſeyn und mir die Hand kuͤſſen, wenn ich dir Geld geben ſoll zum neuen Rock“ — Der juͤngſte, in volle Wuth gerathen uͤber des Bruders hoͤhnenden Stolz, warf das Meſſer, das er gerade in der Hand hatte, nach ihm hin und traf ihn beinahe zum Tode. Hubert, großes Ungluͤck fuͤrchtend, ſchickte den juͤngſten fort nach Petersburg, wo er

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/253>, abgerufen am 23.11.2024.