Abspannung und nun möcht' ich beinahe glauben, daß du es wirklich gewesen bist, in dieser Nacht. -- "Was bin ich gewesen in dieser Nacht," frug der Alte, in seiner Stellung verharrend. "Als ich, sprach V. weiter, gestern Mitternacht dort oben in dem Kabinett des alten Herrn neben dem großen Saal saß, kamst du zur Thüre herein, ganz starr und bleich, schrittest auf die zugemauerte Thür los, kratztest mit beyden Händen an der Mauer und stöhntest, als wenn du große Qualen empfän¬ dest. Bist du denn ein Nachtwandler, Daniel?" Der Alte sank zurück in den Stuhl, den ihm V. schnell unterschob. Er gab keinen Laut von sich, die tiefe Dämmerung ließ sein Gesicht nicht erken¬ nen, V. bemerkte nur, daß er kurz Athem holte und mit den Zähnen klapperte. -- "Ja," fuhr V. nach kurzem Schweigen fort, "ja es ist ein eignes Ding mit den Nachtwandlern. Andern Tages wissen sie von diesem sonderbaren Zustande, von Allem, was sie wie in vollem Wachen begon¬ nen haben, nicht das allermindeste." -- Daniel blieb still. -- "Aehnliches" sprach V. weiter, "wie
Abſpannung und nun moͤcht' ich beinahe glauben, daß du es wirklich geweſen biſt, in dieſer Nacht. — „Was bin ich geweſen in dieſer Nacht,“ frug der Alte, in ſeiner Stellung verharrend. „Als ich, ſprach V. weiter, geſtern Mitternacht dort oben in dem Kabinett des alten Herrn neben dem großen Saal ſaß, kamſt du zur Thuͤre herein, ganz ſtarr und bleich, ſchritteſt auf die zugemauerte Thuͤr los, kratzteſt mit beyden Haͤnden an der Mauer und ſtoͤhnteſt, als wenn du große Qualen empfaͤn¬ deſt. Biſt du denn ein Nachtwandler, Daniel?“ Der Alte ſank zuruͤck in den Stuhl, den ihm V. ſchnell unterſchob. Er gab keinen Laut von ſich, die tiefe Daͤmmerung ließ ſein Geſicht nicht erken¬ nen, V. bemerkte nur, daß er kurz Athem holte und mit den Zaͤhnen klapperte. — „Ja,“ fuhr V. nach kurzem Schweigen fort, „ja es iſt ein eignes Ding mit den Nachtwandlern. Andern Tages wiſſen ſie von dieſem ſonderbaren Zuſtande, von Allem, was ſie wie in vollem Wachen begon¬ nen haben, nicht das allermindeſte.“ — Daniel blieb ſtill. — „Aehnliches“ ſprach V. weiter, „wie
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0234"n="226"/>
Abſpannung und nun moͤcht' ich beinahe glauben,<lb/>
daß <hirendition="#g">du</hi> es wirklich geweſen biſt, in dieſer Nacht. —<lb/>„Was bin ich geweſen in dieſer Nacht,“ frug der<lb/>
Alte, in ſeiner Stellung verharrend. „Als ich,<lb/>ſprach V. weiter, geſtern Mitternacht dort oben<lb/>
in dem Kabinett des alten Herrn neben dem großen<lb/>
Saal ſaß, kamſt du zur Thuͤre herein, ganz ſtarr<lb/>
und bleich, ſchritteſt auf die zugemauerte Thuͤr<lb/>
los, kratzteſt mit beyden Haͤnden an der Mauer<lb/>
und ſtoͤhnteſt, als wenn du große Qualen empfaͤn¬<lb/>
deſt. Biſt du denn ein Nachtwandler, Daniel?“<lb/>
Der Alte ſank zuruͤck in den Stuhl, den ihm V.<lb/>ſchnell unterſchob. Er gab keinen Laut von ſich,<lb/>
die tiefe Daͤmmerung ließ ſein Geſicht nicht erken¬<lb/>
nen, V. bemerkte nur, daß er kurz Athem holte<lb/>
und mit den Zaͤhnen klapperte. —„Ja,“ fuhr<lb/>
V. nach kurzem Schweigen fort, „ja es iſt ein<lb/>
eignes Ding mit den Nachtwandlern. Andern<lb/>
Tages wiſſen ſie von dieſem ſonderbaren Zuſtande,<lb/>
von Allem, was ſie wie in vollem Wachen begon¬<lb/>
nen haben, nicht das allermindeſte.“— Daniel<lb/>
blieb ſtill. —„Aehnliches“ſprach V. weiter, „wie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[226/0234]
Abſpannung und nun moͤcht' ich beinahe glauben,
daß du es wirklich geweſen biſt, in dieſer Nacht. —
„Was bin ich geweſen in dieſer Nacht,“ frug der
Alte, in ſeiner Stellung verharrend. „Als ich,
ſprach V. weiter, geſtern Mitternacht dort oben
in dem Kabinett des alten Herrn neben dem großen
Saal ſaß, kamſt du zur Thuͤre herein, ganz ſtarr
und bleich, ſchritteſt auf die zugemauerte Thuͤr
los, kratzteſt mit beyden Haͤnden an der Mauer
und ſtoͤhnteſt, als wenn du große Qualen empfaͤn¬
deſt. Biſt du denn ein Nachtwandler, Daniel?“
Der Alte ſank zuruͤck in den Stuhl, den ihm V.
ſchnell unterſchob. Er gab keinen Laut von ſich,
die tiefe Daͤmmerung ließ ſein Geſicht nicht erken¬
nen, V. bemerkte nur, daß er kurz Athem holte
und mit den Zaͤhnen klapperte. — „Ja,“ fuhr
V. nach kurzem Schweigen fort, „ja es iſt ein
eignes Ding mit den Nachtwandlern. Andern
Tages wiſſen ſie von dieſem ſonderbaren Zuſtande,
von Allem, was ſie wie in vollem Wachen begon¬
nen haben, nicht das allermindeſte.“ — Daniel
blieb ſtill. — „Aehnliches“ ſprach V. weiter, „wie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/234>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.