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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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wandler, um Sie, mein tapferer Wolfsjäger, auf¬
zufinden! --" So lispelte sie mir zu, indem sie
mich bei der Hand ergriff. Die Worte: "Nacht¬
wandler -- Gespenst," fielen mir, hier an diesem
Orte ausgesprochen, schwer aufs Herz; augenblick¬
lich brachten sie mir die gespenstischen Erscheinun¬
gen jener beiden graulichen Nächte in Sinn und
Gedanken, wie damals heulte der Seewind in
tiefen Orgeltönen herüber, es knatterte und pfiff
schauerlich durch die Bogenfenster, und der Mond
warf sein bleiches Licht gerade auf die geheimni߬
volle Wand, an der sich das Kratzen vernehmen
ließ. Ich glaubte Blutflecke daran zu erkennen.
Fräulein Adelheid mußte, mich noch immer bei der
Hand haltend, die Eiskälte fühlen, die mich durch¬
schauerte. "Was ist Ihnen, was ist Ihnen" sprach
sie leise, "Sie erstarren ja ganz? -- Nun ich will
Sie ins Leben rufen. Wissen Sie wohl, daß die
Baronin es gar nicht erwarten kann. Sie zu se¬
hen? -- Eher glaubt sie nicht, daß der böse Wolf
Sie wirklich nicht zerbissen hat. Sie ängstigt sich

wandler, um Sie, mein tapferer Wolfsjaͤger, auf¬
zufinden! —“ So lispelte ſie mir zu, indem ſie
mich bei der Hand ergriff. Die Worte: „Nacht¬
wandler — Geſpenſt,“ fielen mir, hier an dieſem
Orte ausgeſprochen, ſchwer aufs Herz; augenblick¬
lich brachten ſie mir die geſpenſtiſchen Erſcheinun¬
gen jener beiden graulichen Naͤchte in Sinn und
Gedanken, wie damals heulte der Seewind in
tiefen Orgeltoͤnen heruͤber, es knatterte und pfiff
ſchauerlich durch die Bogenfenſter, und der Mond
warf ſein bleiches Licht gerade auf die geheimni߬
volle Wand, an der ſich das Kratzen vernehmen
ließ. Ich glaubte Blutflecke daran zu erkennen.
Fraͤulein Adelheid mußte, mich noch immer bei der
Hand haltend, die Eiskaͤlte fuͤhlen, die mich durch¬
ſchauerte. „Was iſt Ihnen, was iſt Ihnen“ ſprach
ſie leiſe, „Sie erſtarren ja ganz? — Nun ich will
Sie ins Leben rufen. Wiſſen Sie wohl, daß die
Baronin es gar nicht erwarten kann. Sie zu ſe¬
hen? — Eher glaubt ſie nicht, daß der boͤſe Wolf
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[137/0145] wandler, um Sie, mein tapferer Wolfsjaͤger, auf¬ zufinden! —“ So lispelte ſie mir zu, indem ſie mich bei der Hand ergriff. Die Worte: „Nacht¬ wandler — Geſpenſt,“ fielen mir, hier an dieſem Orte ausgeſprochen, ſchwer aufs Herz; augenblick¬ lich brachten ſie mir die geſpenſtiſchen Erſcheinun¬ gen jener beiden graulichen Naͤchte in Sinn und Gedanken, wie damals heulte der Seewind in tiefen Orgeltoͤnen heruͤber, es knatterte und pfiff ſchauerlich durch die Bogenfenſter, und der Mond warf ſein bleiches Licht gerade auf die geheimni߬ volle Wand, an der ſich das Kratzen vernehmen ließ. Ich glaubte Blutflecke daran zu erkennen. Fraͤulein Adelheid mußte, mich noch immer bei der Hand haltend, die Eiskaͤlte fuͤhlen, die mich durch¬ ſchauerte. „Was iſt Ihnen, was iſt Ihnen“ ſprach ſie leiſe, „Sie erſtarren ja ganz? — Nun ich will Sie ins Leben rufen. Wiſſen Sie wohl, daß die Baronin es gar nicht erwarten kann. Sie zu ſe¬ hen? — Eher glaubt ſie nicht, daß der boͤſe Wolf Sie wirklich nicht zerbiſſen hat. Sie aͤngſtigt ſich

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/145>, abgerufen am 27.11.2024.