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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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des trostlosesten Jammers -- Ha! das ist irgend
ein eingesperrtes krankes Thier im untern Stock.
Man kennt ja die akustische Täuschung der Nacht,
die alles entfernt tönende in die Nähe rückt -- wer
wird sich nur durch so Etwas Grauen erregen lassen
-- So beschwichtige ich mich aufs neue, aber nun
kratzt es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in
der entsetzlichen Angst der Todesnoth ausgestoßen,
sich hören lassen, an jenem neuen Gemäuer. -- "Ja,
es ist ein armes eingesperrtes Thier -- ich werde
jetzt laut rufen, ich werde mit dem Fuß tüchtig auf
den Boden stampfen, gleich wird alles schweigen,
oder das Thier unten sich deutlicher in seinen natür¬
lichen Tönen hören lassen!" -- So denke ich, aber
das Blut gerinnt in meinen Adern -- kalter
Schweiß steht auf der Stirne, erstarrt bleib ich im
Lehnstuhle sitzen, nicht vermögend aufzustehen, viel
weniger noch zu rufen. Das abscheuliche Kratzen
hört endlich auf -- die Tritte lassen sich aufs Neue
vernehmen -- Es ist, als wenn Leben und Re¬
gung in mir erwachte, ich springe auf und trete

des troſtloſeſten Jammers — Ha! das iſt irgend
ein eingeſperrtes krankes Thier im untern Stock.
Man kennt ja die akuſtiſche Taͤuſchung der Nacht,
die alles entfernt toͤnende in die Naͤhe ruͤckt — wer
wird ſich nur durch ſo Etwas Grauen erregen laſſen
— So beſchwichtige ich mich aufs neue, aber nun
kratzt es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in
der entſetzlichen Angſt der Todesnoth ausgeſtoßen,
ſich hoͤren laſſen, an jenem neuen Gemaͤuer. — „Ja,
es iſt ein armes eingeſperrtes Thier — ich werde
jetzt laut rufen, ich werde mit dem Fuß tuͤchtig auf
den Boden ſtampfen, gleich wird alles ſchweigen,
oder das Thier unten ſich deutlicher in ſeinen natuͤr¬
lichen Toͤnen hoͤren laſſen!“ — So denke ich, aber
das Blut gerinnt in meinen Adern — kalter
Schweiß ſteht auf der Stirne, erſtarrt bleib ich im
Lehnſtuhle ſitzen, nicht vermoͤgend aufzuſtehen, viel
weniger noch zu rufen. Das abſcheuliche Kratzen
hoͤrt endlich auf — die Tritte laſſen ſich aufs Neue
vernehmen — Es iſt, als wenn Leben und Re¬
gung in mir erwachte, ich ſpringe auf und trete

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[94/0102] des troſtloſeſten Jammers — Ha! das iſt irgend ein eingeſperrtes krankes Thier im untern Stock. Man kennt ja die akuſtiſche Taͤuſchung der Nacht, die alles entfernt toͤnende in die Naͤhe ruͤckt — wer wird ſich nur durch ſo Etwas Grauen erregen laſſen — So beſchwichtige ich mich aufs neue, aber nun kratzt es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in der entſetzlichen Angſt der Todesnoth ausgeſtoßen, ſich hoͤren laſſen, an jenem neuen Gemaͤuer. — „Ja, es iſt ein armes eingeſperrtes Thier — ich werde jetzt laut rufen, ich werde mit dem Fuß tuͤchtig auf den Boden ſtampfen, gleich wird alles ſchweigen, oder das Thier unten ſich deutlicher in ſeinen natuͤr¬ lichen Toͤnen hoͤren laſſen!“ — So denke ich, aber das Blut gerinnt in meinen Adern — kalter Schweiß ſteht auf der Stirne, erſtarrt bleib ich im Lehnſtuhle ſitzen, nicht vermoͤgend aufzuſtehen, viel weniger noch zu rufen. Das abſcheuliche Kratzen hoͤrt endlich auf — die Tritte laſſen ſich aufs Neue vernehmen — Es iſt, als wenn Leben und Re¬ gung in mir erwachte, ich ſpringe auf und trete

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/102>, abgerufen am 22.11.2024.