lebendigen Erzählungen, die er aufschrieb, und die Clara mit dem innigsten Vergnügen anhörte; jetzt waren seine Dichtungen düster, unverständ¬ lich, gestaltlos, so daß, wenn Clara schonend es auch nicht sagte, er doch wohl fühlte, wie wenig sie davon angesprochen wurde. Nichts war für Clara tödtender, als das Langweilige; in Blick und Rede sprach sich dann ihre nicht zu besiegende geistige Schläfrigkeit aus. Natha¬ nael's Dichtungen waren in der That sehr lang¬ weilig. Sein Verdruß über Clara's kaltes pro¬ saisches Gemüth stieg höher, Clara konnte ihren Unmuth über Nathanael's dunkle, düstere, langweilige Mystik nicht überwinden, und so ent¬ fernten beide im Innern sich immer mehr von ein¬ ander, ohne es selbst zu bemerken. Die Gestalt des häßlichen Coppelius war, wie Natha¬ nael selbst es sich gestehen mußte, in seiner Fan¬ tasie erbleicht und es kostete ihm oft Mühe, ihn in seinen Dichtungen, wo er als grauser Schicksals¬ popanz auftrat, recht lebendig zu coloriren. Es kam ihm endlich ein, jene düstre Ahnung, daß
lebendigen Erzaͤhlungen, die er aufſchrieb, und die Clara mit dem innigſten Vergnuͤgen anhoͤrte; jetzt waren ſeine Dichtungen duͤſter, unverſtaͤnd¬ lich, geſtaltlos, ſo daß, wenn Clara ſchonend es auch nicht ſagte, er doch wohl fuͤhlte, wie wenig ſie davon angeſprochen wurde. Nichts war fuͤr Clara toͤdtender, als das Langweilige; in Blick und Rede ſprach ſich dann ihre nicht zu beſiegende geiſtige Schlaͤfrigkeit aus. Natha¬ nael's Dichtungen waren in der That ſehr lang¬ weilig. Sein Verdruß uͤber Clara's kaltes pro¬ ſaiſches Gemuͤth ſtieg hoͤher, Clara konnte ihren Unmuth uͤber Nathanael's dunkle, duͤſtere, langweilige Myſtik nicht uͤberwinden, und ſo ent¬ fernten beide im Innern ſich immer mehr von ein¬ ander, ohne es ſelbſt zu bemerken. Die Geſtalt des haͤßlichen Coppelius war, wie Natha¬ nael ſelbſt es ſich geſtehen mußte, in ſeiner Fan¬ taſie erbleicht und es koſtete ihm oft Muͤhe, ihn in ſeinen Dichtungen, wo er als grauſer Schickſals¬ popanz auftrat, recht lebendig zu coloriren. Es kam ihm endlich ein, jene duͤſtre Ahnung, daß
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lebendigen Erzaͤhlungen, die er aufſchrieb, und
die Clara mit dem innigſten Vergnuͤgen anhoͤrte;
jetzt waren ſeine Dichtungen duͤſter, unverſtaͤnd¬
lich, geſtaltlos, ſo daß, wenn Clara ſchonend es
auch nicht ſagte, er doch wohl fuͤhlte, wie wenig
ſie davon angeſprochen wurde. Nichts war
fuͤr Clara toͤdtender, als das Langweilige; in
Blick und Rede ſprach ſich dann ihre nicht zu
beſiegende geiſtige Schlaͤfrigkeit aus. Natha¬
nael's Dichtungen waren in der That ſehr lang¬
weilig. Sein Verdruß uͤber Clara's kaltes pro¬
ſaiſches Gemuͤth ſtieg hoͤher, Clara konnte ihren
Unmuth uͤber Nathanael's dunkle, duͤſtere,
langweilige Myſtik nicht uͤberwinden, und ſo ent¬
fernten beide im Innern ſich immer mehr von ein¬
ander, ohne es ſelbſt zu bemerken. Die Geſtalt
des haͤßlichen Coppelius war, wie Natha¬
nael ſelbſt es ſich geſtehen mußte, in ſeiner Fan¬
taſie erbleicht und es koſtete ihm oft Muͤhe, ihn
in ſeinen Dichtungen, wo er als grauſer Schickſals¬
popanz auftrat, recht lebendig zu coloriren. Es
kam ihm endlich ein, jene duͤſtre Ahnung, daß
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/49>, abgerufen am 21.11.2024.
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