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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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von tiefem Schatten umflossenen Augen nicht in
des Menschen Brust die ewigdürstende Sehnsucht
aufgehen? Sprachen die weichen halbgeöffneten
Lippen nicht tröstend, wie in holden Engels Me¬
lodien, von der unendlichen Seligkeit des Him¬
mels? -- Nieder mich zu werfen in den Staub
vor ihr, der Himmels Königin, trieb mich ein un¬
beschreibliches Gefühl -- keines Wortes mächtig
konnte ich den Blick nicht abwenden von dem
Bilde ohne Gleichen. Nur Maria und die
Kinder waren ganz ausgeführt, an der Figur
Elisabeths schien die letzte Hand zu fehlen,
und der betende Mann war noch nicht übermahlt.
Näher getreten erkannte ich in dem Gesicht die¬
ses Mannes Berthold's Züge. Ich ahnte,
was mir der Professor gleich darauf sagte: Die¬
ses Bild, sprach er, ist Berthold's letzte Ar¬
beit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in
Oberschlesien, wo es von einem unserer Collegen
in einer Versteigerung gekauft wurde, erhielten.
Unerachtet es nicht vollendet ist, ließen wir es

von tiefem Schatten umfloſſenen Augen nicht in
des Menſchen Bruſt die ewigduͤrſtende Sehnſucht
aufgehen? Sprachen die weichen halbgeoͤffneten
Lippen nicht troͤſtend, wie in holden Engels Me¬
lodien, von der unendlichen Seligkeit des Him¬
mels? — Nieder mich zu werfen in den Staub
vor ihr, der Himmels Koͤnigin, trieb mich ein un¬
beſchreibliches Gefuͤhl — keines Wortes maͤchtig
konnte ich den Blick nicht abwenden von dem
Bilde ohne Gleichen. Nur Maria und die
Kinder waren ganz ausgefuͤhrt, an der Figur
Eliſabeths ſchien die letzte Hand zu fehlen,
und der betende Mann war noch nicht uͤbermahlt.
Naͤher getreten erkannte ich in dem Geſicht die¬
ſes Mannes Berthold's Zuͤge. Ich ahnte,
was mir der Profeſſor gleich darauf ſagte: Die¬
ſes Bild, ſprach er, iſt Berthold's letzte Ar¬
beit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in
Oberſchleſien, wo es von einem unſerer Collegen
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[237/0245] von tiefem Schatten umfloſſenen Augen nicht in des Menſchen Bruſt die ewigduͤrſtende Sehnſucht aufgehen? Sprachen die weichen halbgeoͤffneten Lippen nicht troͤſtend, wie in holden Engels Me¬ lodien, von der unendlichen Seligkeit des Him¬ mels? — Nieder mich zu werfen in den Staub vor ihr, der Himmels Koͤnigin, trieb mich ein un¬ beſchreibliches Gefuͤhl — keines Wortes maͤchtig konnte ich den Blick nicht abwenden von dem Bilde ohne Gleichen. Nur Maria und die Kinder waren ganz ausgefuͤhrt, an der Figur Eliſabeths ſchien die letzte Hand zu fehlen, und der betende Mann war noch nicht uͤbermahlt. Naͤher getreten erkannte ich in dem Geſicht die¬ ſes Mannes Berthold's Zuͤge. Ich ahnte, was mir der Profeſſor gleich darauf ſagte: Die¬ ſes Bild, ſprach er, iſt Berthold's letzte Ar¬ beit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in Oberſchleſien, wo es von einem unſerer Collegen in einer Verſteigerung gekauft wurde, erhielten. Unerachtet es nicht vollendet iſt, ließen wir es

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/245>, abgerufen am 05.05.2024.