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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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wir durften, war er zugegen, keinen Laut von
uns geben und verwünschten den häßlichen, feind¬
lichen Mann, der uns recht mit Bedacht und
Absicht auch die kleinste Freude verdarb. Die
Mutter schien eben so, wie wir, den widerwärti¬
gen Coppelius zu hassen; denn so wie er sich
zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres unbefange¬
nes Wesen umgewandelt in traurigen, düstern
Ernst. Der Vater betrug sich gegen ihn, als sei er
ein höheres Wesen, dessen Unarten man dulden
und das man auf jede Weise bei guter Laune er¬
halten müsse. Er durfte nur leise andeuten
und Lieblingsgerichte wurden gekocht und seltene
Weine kredenzt.

Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es
grausig und entsetzlich in meiner Seele auf, daß
ja niemand anders, als er, der Sandmann seyn
könne, aber der Sandmann war mir nicht mehr
jener Popanz aus dem Ammenmährchen, der dem
Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung
holt, -- Nein! -- ein häßlicher gespenstischer
Unhold, der überall, wo er einschreitet, Jam¬

wir durften, war er zugegen, keinen Laut von
uns geben und verwuͤnſchten den haͤßlichen, feind¬
lichen Mann, der uns recht mit Bedacht und
Abſicht auch die kleinſte Freude verdarb. Die
Mutter ſchien eben ſo, wie wir, den widerwaͤrti¬
gen Coppelius zu haſſen; denn ſo wie er ſich
zeigte, war ihr Frohſinn, ihr heiteres unbefange¬
nes Weſen umgewandelt in traurigen, duͤſtern
Ernſt. Der Vater betrug ſich gegen ihn, als ſei er
ein hoͤheres Weſen, deſſen Unarten man dulden
und das man auf jede Weiſe bei guter Laune er¬
halten muͤſſe. Er durfte nur leiſe andeuten
und Lieblingsgerichte wurden gekocht und ſeltene
Weine kredenzt.

Als ich nun dieſen Coppelius ſah, ging es
grauſig und entſetzlich in meiner Seele auf, daß
ja niemand anders, als er, der Sandmann ſeyn
koͤnne, aber der Sandmann war mir nicht mehr
jener Popanz aus dem Ammenmaͤhrchen, der dem
Eulenneſt im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung
holt, — Nein! — ein haͤßlicher geſpenſtiſcher
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[12/0020] wir durften, war er zugegen, keinen Laut von uns geben und verwuͤnſchten den haͤßlichen, feind¬ lichen Mann, der uns recht mit Bedacht und Abſicht auch die kleinſte Freude verdarb. Die Mutter ſchien eben ſo, wie wir, den widerwaͤrti¬ gen Coppelius zu haſſen; denn ſo wie er ſich zeigte, war ihr Frohſinn, ihr heiteres unbefange¬ nes Weſen umgewandelt in traurigen, duͤſtern Ernſt. Der Vater betrug ſich gegen ihn, als ſei er ein hoͤheres Weſen, deſſen Unarten man dulden und das man auf jede Weiſe bei guter Laune er¬ halten muͤſſe. Er durfte nur leiſe andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und ſeltene Weine kredenzt. Als ich nun dieſen Coppelius ſah, ging es grauſig und entſetzlich in meiner Seele auf, daß ja niemand anders, als er, der Sandmann ſeyn koͤnne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem Ammenmaͤhrchen, der dem Eulenneſt im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung holt, — Nein! — ein haͤßlicher geſpenſtiſcher Unhold, der uͤberall, wo er einſchreitet, Jam¬

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/20>, abgerufen am 29.03.2024.