Wie? sprach er zu sich selbst, ein Mensch der die geheimsten Gedanken seiner Brüder erforscht, bringt über den diese verhängnißvolle Gabe nicht jenes ent¬ setzliche Verhängniß, welches den ewigen Juden traf, der durch das bunteste Gewühl der Welt, ohne Freu¬ de, ohne Hoffnung, ohne Schmerz, in dumpfer Gleichgültigkeit, die das Caput mortuum der Ver¬ zweiflung ist, wie durch eine unwirthbare trostlose Einöde wandelte?
Immer aufs neue hoffend, immer aufs neue vertrauend und immer wieder bitter getäuscht, wie kann es anders möglich seyn, als daß Mißtrauen, böser Argwohn, Haß, Rachsucht in der Seele sich fest nisten und jede Spur des wahrhaft menschlichen Prinzips, das sich ausspricht in mildem Vertrauen, in frommer Gutmüthigkeit, wegzehren muß? Nein! dein freundliches Gesicht, deine glatten Worte sollen mich nicht täuschen, du, in dessen tiefem Innern vielleicht unverdienter Haß gegen mich verborgen; ich will dich für meinen Freund halten, ich will dir Gu¬ tes erzeigen, wie ich nur kann, ich will dir meine Seele erschließen, weil es mir wohl thut, und das bittre Gefühl des Augenblicks, wenn du mich ent¬ täuschest, ist gering zu achten gegen die Freuden ei¬ nes schönen vergangenen Traumes. Und selbst die
Wie? ſprach er zu ſich ſelbſt, ein Menſch der die geheimſten Gedanken ſeiner Brüder erforſcht, bringt über den dieſe verhängnißvolle Gabe nicht jenes ent¬ ſetzliche Verhängniß, welches den ewigen Juden traf, der durch das bunteſte Gewühl der Welt, ohne Freu¬ de, ohne Hoffnung, ohne Schmerz, in dumpfer Gleichgültigkeit, die das Caput mortuum der Ver¬ zweiflung iſt, wie durch eine unwirthbare troſtloſe Einöde wandelte?
Immer aufs neue hoffend, immer aufs neue vertrauend und immer wieder bitter getäuſcht, wie kann es anders möglich ſeyn, als daß Mißtrauen, böſer Argwohn, Haß, Rachſucht in der Seele ſich feſt niſten und jede Spur des wahrhaft menſchlichen Prinzips, das ſich ausſpricht in mildem Vertrauen, in frommer Gutmüthigkeit, wegzehren muß? Nein! dein freundliches Geſicht, deine glatten Worte ſollen mich nicht täuſchen, du, in deſſen tiefem Innern vielleicht unverdienter Haß gegen mich verborgen; ich will dich für meinen Freund halten, ich will dir Gu¬ tes erzeigen, wie ich nur kann, ich will dir meine Seele erſchließen, weil es mir wohl thut, und das bittre Gefühl des Augenblicks, wenn du mich ent¬ täuſcheſt, iſt gering zu achten gegen die Freuden ei¬ nes ſchönen vergangenen Traumes. Und ſelbſt die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0254"n="249"/><p>Wie? ſprach er zu ſich ſelbſt, ein Menſch der<lb/>
die geheimſten Gedanken ſeiner Brüder erforſcht, bringt<lb/>
über den dieſe verhängnißvolle Gabe nicht jenes ent¬<lb/>ſetzliche Verhängniß, welches den ewigen Juden traf,<lb/>
der durch das bunteſte Gewühl der Welt, ohne Freu¬<lb/>
de, ohne Hoffnung, ohne Schmerz, in dumpfer<lb/>
Gleichgültigkeit, die das Caput mortuum der Ver¬<lb/>
zweiflung iſt, wie durch eine unwirthbare troſtloſe<lb/>
Einöde wandelte?</p><lb/><p>Immer aufs neue hoffend, immer aufs neue<lb/>
vertrauend und immer wieder bitter getäuſcht, wie<lb/>
kann es anders möglich ſeyn, als daß Mißtrauen,<lb/>
böſer Argwohn, Haß, Rachſucht in der Seele ſich<lb/>
feſt niſten und jede Spur des wahrhaft menſchlichen<lb/>
Prinzips, das ſich ausſpricht in mildem Vertrauen,<lb/>
in frommer Gutmüthigkeit, wegzehren muß? Nein!<lb/>
dein freundliches Geſicht, deine glatten Worte ſollen<lb/>
mich nicht täuſchen, du, in deſſen tiefem Innern<lb/>
vielleicht unverdienter Haß gegen mich verborgen; ich<lb/>
will dich für meinen Freund halten, ich will dir Gu¬<lb/>
tes erzeigen, wie ich nur kann, ich will dir meine<lb/>
Seele erſchließen, weil es mir wohl thut, und das<lb/>
bittre Gefühl des Augenblicks, wenn du mich ent¬<lb/>
täuſcheſt, iſt gering zu achten gegen die Freuden ei¬<lb/>
nes ſchönen vergangenen Traumes. Und ſelbſt die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[249/0254]
Wie? ſprach er zu ſich ſelbſt, ein Menſch der
die geheimſten Gedanken ſeiner Brüder erforſcht, bringt
über den dieſe verhängnißvolle Gabe nicht jenes ent¬
ſetzliche Verhängniß, welches den ewigen Juden traf,
der durch das bunteſte Gewühl der Welt, ohne Freu¬
de, ohne Hoffnung, ohne Schmerz, in dumpfer
Gleichgültigkeit, die das Caput mortuum der Ver¬
zweiflung iſt, wie durch eine unwirthbare troſtloſe
Einöde wandelte?
Immer aufs neue hoffend, immer aufs neue
vertrauend und immer wieder bitter getäuſcht, wie
kann es anders möglich ſeyn, als daß Mißtrauen,
böſer Argwohn, Haß, Rachſucht in der Seele ſich
feſt niſten und jede Spur des wahrhaft menſchlichen
Prinzips, das ſich ausſpricht in mildem Vertrauen,
in frommer Gutmüthigkeit, wegzehren muß? Nein!
dein freundliches Geſicht, deine glatten Worte ſollen
mich nicht täuſchen, du, in deſſen tiefem Innern
vielleicht unverdienter Haß gegen mich verborgen; ich
will dich für meinen Freund halten, ich will dir Gu¬
tes erzeigen, wie ich nur kann, ich will dir meine
Seele erſchließen, weil es mir wohl thut, und das
bittre Gefühl des Augenblicks, wenn du mich ent¬
täuſcheſt, iſt gering zu achten gegen die Freuden ei¬
nes ſchönen vergangenen Traumes. Und ſelbſt die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/254>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.