Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

"Der Mensch," rief einer von den Zuschauern,
"der Mensch, der so schön auf und nieder fliegt, das
"ist ja wohl der Uhrmacher Degen aus Wien, der
"die Flugmaschine erfunden hat und damit einmal
"übers andre aus der Luft hinabpurzelt auf Nase? --
"Ach nein," erwiederte ein anderer, das ist nicht der
"Vogel Degen. Eher würd' ich glauben, es wäre
"das Schneiderlein aus Sachsenhausen, wüßt' ich
"nicht, daß das arme Ding verbrannt ist." --

Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser die merk¬
würdige Geschichte von dem Schneiderlein aus Sach¬
senhausen kennt? -- Hier ist sie:

Geschichte des Schneiderleins
aus Sachsenhausen.

Es begab sich, daß ein zartes frommes Schnei¬
derlein zu Sachsenhausen, an einem Sonntage gar
schön geputzt mit seiner Frau Liebsten aus der Kirche
kam. Die Luft war rauh, das Schneiderlein hatte
zu Nacht nichts genossen, als ein halbes weichgesot¬
tenes Ey und eine Pfeffergurke, Morgens aber ein
kleines Schälchen Kaffee. Wollte ihm daher flau und
erbärmlich zu Muthe werden, weil er überdem in der
Kirche gar heftig gesungen, und ihm nach einem Ma¬
genschnäpschen gelüsten. War die Woche über fleißig

»Der Menſch,» rief einer von den Zuſchauern,
»der Menſch, der ſo ſchön auf und nieder fliegt, das
»iſt ja wohl der Uhrmacher Degen aus Wien, der
»die Flugmaſchine erfunden hat und damit einmal
»übers andre aus der Luft hinabpurzelt auf Naſe? —
»Ach nein,» erwiederte ein anderer, das iſt nicht der
»Vogel Degen. Eher würd' ich glauben, es wäre
»das Schneiderlein aus Sachſenhauſen, wüßt' ich
»nicht, daß das arme Ding verbrannt iſt.» —

Ich weiß nicht, ob der geneigte Leſer die merk¬
würdige Geſchichte von dem Schneiderlein aus Sach¬
ſenhauſen kennt? — Hier iſt ſie:

Geſchichte des Schneiderleins
aus Sachſenhauſen.

Es begab ſich, daß ein zartes frommes Schnei¬
derlein zu Sachſenhauſen, an einem Sonntage gar
ſchön geputzt mit ſeiner Frau Liebſten aus der Kirche
kam. Die Luft war rauh, das Schneiderlein hatte
zu Nacht nichts genoſſen, als ein halbes weichgeſot¬
tenes Ey und eine Pfeffergurke, Morgens aber ein
kleines Schälchen Kaffee. Wollte ihm daher flau und
erbärmlich zu Muthe werden, weil er überdem in der
Kirche gar heftig geſungen, und ihm nach einem Ma¬
genſchnäpschen gelüſten. War die Woche über fleißig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0180" n="175"/>
          <p>»Der Men&#x017F;ch,» rief einer von den Zu&#x017F;chauern,<lb/>
»der Men&#x017F;ch, der &#x017F;o &#x017F;chön auf und nieder fliegt, das<lb/>
»i&#x017F;t ja wohl der Uhrmacher Degen aus Wien, der<lb/>
»die Flugma&#x017F;chine erfunden hat und damit einmal<lb/>
ȟbers andre aus der Luft hinabpurzelt auf Na&#x017F;e? &#x2014;<lb/>
»Ach nein,» erwiederte ein anderer, das i&#x017F;t nicht der<lb/>
»Vogel Degen. Eher würd' ich glauben, es wäre<lb/>
»das Schneiderlein aus Sach&#x017F;enhau&#x017F;en, wüßt' ich<lb/>
»nicht, daß das arme Ding verbrannt i&#x017F;t.» &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ich weiß nicht, ob der geneigte Le&#x017F;er die merk¬<lb/>
würdige Ge&#x017F;chichte von dem Schneiderlein aus Sach¬<lb/>
&#x017F;enhau&#x017F;en kennt? &#x2014; Hier i&#x017F;t &#x017F;ie:</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chichte des Schneiderleins<lb/>
aus Sach&#x017F;enhau&#x017F;en.</hi> </p><lb/>
          <p>Es begab &#x017F;ich, daß ein zartes frommes Schnei¬<lb/>
derlein zu Sach&#x017F;enhau&#x017F;en, an einem Sonntage gar<lb/>
&#x017F;chön geputzt mit &#x017F;einer Frau Lieb&#x017F;ten aus der Kirche<lb/>
kam. Die Luft war rauh, das Schneiderlein hatte<lb/>
zu Nacht nichts geno&#x017F;&#x017F;en, als ein halbes weichge&#x017F;ot¬<lb/>
tenes Ey und eine Pfeffergurke, Morgens aber ein<lb/>
kleines Schälchen Kaffee. Wollte ihm daher flau und<lb/>
erbärmlich zu Muthe werden, weil er überdem in der<lb/>
Kirche gar heftig ge&#x017F;ungen, und ihm nach einem Ma¬<lb/>
gen&#x017F;chnäpschen gelü&#x017F;ten. War die Woche über fleißig<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0180] »Der Menſch,» rief einer von den Zuſchauern, »der Menſch, der ſo ſchön auf und nieder fliegt, das »iſt ja wohl der Uhrmacher Degen aus Wien, der »die Flugmaſchine erfunden hat und damit einmal »übers andre aus der Luft hinabpurzelt auf Naſe? — »Ach nein,» erwiederte ein anderer, das iſt nicht der »Vogel Degen. Eher würd' ich glauben, es wäre »das Schneiderlein aus Sachſenhauſen, wüßt' ich »nicht, daß das arme Ding verbrannt iſt.» — Ich weiß nicht, ob der geneigte Leſer die merk¬ würdige Geſchichte von dem Schneiderlein aus Sach¬ ſenhauſen kennt? — Hier iſt ſie: Geſchichte des Schneiderleins aus Sachſenhauſen. Es begab ſich, daß ein zartes frommes Schnei¬ derlein zu Sachſenhauſen, an einem Sonntage gar ſchön geputzt mit ſeiner Frau Liebſten aus der Kirche kam. Die Luft war rauh, das Schneiderlein hatte zu Nacht nichts genoſſen, als ein halbes weichgeſot¬ tenes Ey und eine Pfeffergurke, Morgens aber ein kleines Schälchen Kaffee. Wollte ihm daher flau und erbärmlich zu Muthe werden, weil er überdem in der Kirche gar heftig geſungen, und ihm nach einem Ma¬ genſchnäpschen gelüſten. War die Woche über fleißig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/180
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/180>, abgerufen am 09.05.2024.