hier magre unpoetische Zeiten: schrieb er mit den Ge¬ dichten, die er zum 77ger Almanach einsendete: so mager, wie die magern Kühe des Farao, oder wie ich jezt selber bin. Die Vormittagsstunden muss ich dem Uebersezen aufopfern; nach Tische kriege ich immer Kopfweh und Hize im Gesicht, und bin bis gegen fünf Uhr zu nichts aufgelegt. Bald bin ich mit meiner Arbeit fertig, und kann einige Wochen in aller Ruhe bei dir bleiben. Ich bin ungemein begierig, dich einmal wie¬ derzusehn. Der hiesige Aufenthalt ist mir höchst unan¬ genehm; ich muss an einen andern Ort, oder ich ver¬ schimmele. Schreib mir bald. Ich schreibe dir künftig gewiss oft. "Armer Freund, es war dein lezter Brief an mich. Er starb zu Hannover den 1 September 1776.
Dies war das Leben des Jünglings, dessen Geist unter der Last eines siechen Körpers so aufstrebte, dass er in jeder gewählten Gattung der Poesie unter den ersten Dichtern glänzt; der mit jedem neuen Versuche höher zur Vollkommenheit stieg, und selbst sein Vollkommen¬ stes nur als Vorübung zu Werken des Mannes betrach¬ tete. Er stellte nicht mit kalter Ueberlegung Gedanken und Bilder zusammen, worüber man sich eins gewor¬ den ist, sie schön zu finden; voll warmer allumfassen¬ der Liebe blickte er in der Natur umher, und sang, was sein Herz empfand. Ich habe aus seinem Leben solche Züge gewählt, die mir die Art seiner Anschau¬
ung
hier magre unpoetiſche Zeiten: ſchrieb er mit den Ge¬ dichten, die er zum 77ger Almanach einſendete: ſo mager, wie die magern Kühe des Farao, oder wie ich jezt ſelber bin. Die Vormittagsſtunden muſs ich dem Ueberſezen aufopfern; nach Tiſche kriege ich immer Kopfweh und Hize im Geſicht, und bin bis gegen fünf Uhr zu nichts aufgelegt. Bald bin ich mit meiner Arbeit fertig, und kann einige Wochen in aller Ruhe bei dir bleiben. Ich bin ungemein begierig, dich einmal wie¬ derzuſehn. Der hieſige Aufenthalt iſt mir höchſt unan¬ genehm; ich muſs an einen andern Ort, oder ich ver¬ ſchimmele. Schreib mir bald. Ich ſchreibe dir künftig gewiſs oft. „Armer Freund, es war dein lezter Brief an mich. Er ſtarb zu Hannover den 1 September 1776.
Dies war das Leben des Jünglings, deſſen Geiſt unter der Laſt eines ſiechen Körpers ſo aufſtrebte, daſs er in jeder gewählten Gattung der Poeſie unter den erſten Dichtern glänzt; der mit jedem neuen Verſuche höher zur Vollkommenheit ſtieg, und ſelbſt ſein Vollkommen¬ ſtes nur als Vorübung zu Werken des Mannes betrach¬ tete. Er ſtellte nicht mit kalter Ueberlegung Gedanken und Bilder zuſammen, worüber man ſich eins gewor¬ den iſt, ſie ſchön zu finden; voll warmer allumfaſſen¬ der Liebe blickte er in der Natur umher, und ſang, was ſein Herz empfand. Ich habe aus ſeinem Leben ſolche Züge gewählt, die mir die Art ſeiner Anſchau¬
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[XXIII/0031]
hier magre unpoetiſche Zeiten: ſchrieb er mit den Ge¬
dichten, die er zum 77ger Almanach einſendete: ſo
mager, wie die magern Kühe des Farao, oder wie ich
jezt ſelber bin. Die Vormittagsſtunden muſs ich dem
Ueberſezen aufopfern; nach Tiſche kriege ich immer
Kopfweh und Hize im Geſicht, und bin bis gegen fünf
Uhr zu nichts aufgelegt. Bald bin ich mit meiner Arbeit
fertig, und kann einige Wochen in aller Ruhe bei dir
bleiben. Ich bin ungemein begierig, dich einmal wie¬
derzuſehn. Der hieſige Aufenthalt iſt mir höchſt unan¬
genehm; ich muſs an einen andern Ort, oder ich ver¬
ſchimmele. Schreib mir bald. Ich ſchreibe dir künftig
gewiſs oft. „Armer Freund, es war dein lezter Brief
an mich. Er ſtarb zu Hannover den 1 September 1776.
Dies war das Leben des Jünglings, deſſen Geiſt unter
der Laſt eines ſiechen Körpers ſo aufſtrebte, daſs er in
jeder gewählten Gattung der Poeſie unter den erſten
Dichtern glänzt; der mit jedem neuen Verſuche höher
zur Vollkommenheit ſtieg, und ſelbſt ſein Vollkommen¬
ſtes nur als Vorübung zu Werken des Mannes betrach¬
tete. Er ſtellte nicht mit kalter Ueberlegung Gedanken
und Bilder zuſammen, worüber man ſich eins gewor¬
den iſt, ſie ſchön zu finden; voll warmer allumfaſſen¬
der Liebe blickte er in der Natur umher, und ſang,
was ſein Herz empfand. Ich habe aus ſeinem Leben
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Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783, S. XXIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelty_gedichte_1783/31>, abgerufen am 19.07.2024.
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