lieblichen Mädchen hielt. Die eine war vorzüglich schön, und gefiel mir höchlich. Ich stellte mich dicht an die Thüre, als sie abstieg und wieder einstieg, und verschlang ihre Reize. Sie kam einmal so nahe bei mir vorbei, dass mich ihr schöner Arm ein wenig berührte. Betrübt sah ich sie wegfahren. Ich freute mich, dass mein Herz noch fühlen konnte. Welch ein Himmel ist die Liebe! Der ist ein Engel, der in diesem Himmel wohnen kann, der ein Verdammter, der nie einen Plaz darin bekommt. Troz meiner strupfichten Locken hätte sie mich vielleicht angelächelt, wenn sie gewusst hätte, dass der berühmte Traumbilderdichter vor ihr stünde."
Spät im Herbste 1774 fing er an, des Morgens Blut auszuwerfen, welches er für die unschädliche Folge eines im ersten akademischen Jahre gehabten hartnäcki¬ gen Hustens, und lange zurückgebliebenen Stiches hielt. Im Anfange des Mais 1775, wenige Wochen nach dem Tode seines Vaters, ging er von Göttingen über Han¬ nover nach Mariensee zurück, wo er seine Kur unter Zimmermanns Anleitung fortsezte. Den 8 Mai schrieb er mir: "Vielleicht, hat Zimmermann Leisewizen ge¬ sagt, könnte ich noch von der Schwindsucht gerettet werden, wenn ich die verordneten Arzeneien gebrauch¬ te, und die vorgeschriebene Diät befolgte. Du siehst also, wie gefährlich meine Krankheit ist, und auf welch ei¬ nem schmalen Scheidewege zwischen Leben und Tod
ich
lieblichen Mädchen hielt. Die eine war vorzüglich ſchön, und gefiel mir höchlich. Ich ſtellte mich dicht an die Thüre, als ſie abſtieg und wieder einſtieg, und verſchlang ihre Reize. Sie kam einmal ſo nahe bei mir vorbei, daſs mich ihr ſchöner Arm ein wenig berührte. Betrübt ſah ich ſie wegfahren. Ich freute mich, daſs mein Herz noch fühlen konnte. Welch ein Himmel iſt die Liebe! Der iſt ein Engel, der in dieſem Himmel wohnen kann, der ein Verdammter, der nie einen Plaz darin bekommt. Troz meiner ſtrupfichten Locken hätte ſie mich vielleicht angelächelt, wenn ſie gewuſst hätte, daſs der berühmte Traumbilderdichter vor ihr ſtünde.“
Spät im Herbſte 1774 fing er an, des Morgens Blut auszuwerfen, welches er für die unſchädliche Folge eines im erſten akademiſchen Jahre gehabten hartnäcki¬ gen Huſtens, und lange zurückgebliebenen Stiches hielt. Im Anfange des Mais 1775, wenige Wochen nach dem Tode ſeines Vaters, ging er von Göttingen über Han¬ nover nach Marienſee zurück, wo er ſeine Kur unter Zimmermanns Anleitung fortſezte. Den 8 Mai ſchrieb er mir: „Vielleicht, hat Zimmermann Leiſewizen ge¬ ſagt, könnte ich noch von der Schwindſucht gerettet werden, wenn ich die verordneten Arzeneien gebrauch¬ te, und die vorgeſchriebene Diät befolgte. Du ſiehſt alſo, wie gefährlich meine Krankheit iſt, und auf welch ei¬ nem ſchmalen Scheidewege zwiſchen Leben und Tod
ich
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0028"n="XX"/>
lieblichen Mädchen hielt. Die eine war vorzüglich<lb/>ſchön, und gefiel mir höchlich. Ich ſtellte mich dicht<lb/>
an die Thüre, als ſie abſtieg und wieder einſtieg, und<lb/>
verſchlang ihre Reize. Sie kam einmal ſo nahe bei mir<lb/>
vorbei, daſs mich ihr ſchöner Arm ein wenig berührte.<lb/>
Betrübt ſah ich ſie wegfahren. Ich freute mich, daſs<lb/>
mein Herz noch fühlen konnte. Welch ein Himmel<lb/>
iſt die Liebe! Der iſt ein Engel, der in dieſem Himmel<lb/>
wohnen kann, der ein Verdammter, der nie einen Plaz<lb/>
darin bekommt. Troz meiner ſtrupfichten Locken hätte<lb/>ſie mich vielleicht angelächelt, wenn ſie gewuſst hätte,<lb/>
daſs der berühmte Traumbilderdichter vor ihr ſtünde.“</p><lb/><p>Spät im Herbſte 1774 fing er an, des Morgens Blut<lb/>
auszuwerfen, welches er für die unſchädliche Folge<lb/>
eines im erſten akademiſchen Jahre gehabten hartnäcki¬<lb/>
gen Huſtens, und lange zurückgebliebenen Stiches hielt.<lb/>
Im Anfange des Mais 1775, wenige Wochen nach dem<lb/>
Tode ſeines Vaters, ging er von Göttingen über Han¬<lb/>
nover nach Marienſee zurück, wo er ſeine Kur unter<lb/>
Zimmermanns Anleitung fortſezte. Den 8 Mai ſchrieb<lb/>
er mir: „Vielleicht, hat Zimmermann Leiſewizen ge¬<lb/>ſagt, könnte ich noch von der Schwindſucht gerettet<lb/>
werden, wenn ich die verordneten Arzeneien gebrauch¬<lb/>
te, und die vorgeſchriebene Diät befolgte. Du ſiehſt alſo,<lb/>
wie gefährlich meine Krankheit iſt, und auf welch ei¬<lb/>
nem ſchmalen Scheidewege zwiſchen Leben und Tod<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ich<lb/></fw></p></div></front></text></TEI>
[XX/0028]
lieblichen Mädchen hielt. Die eine war vorzüglich
ſchön, und gefiel mir höchlich. Ich ſtellte mich dicht
an die Thüre, als ſie abſtieg und wieder einſtieg, und
verſchlang ihre Reize. Sie kam einmal ſo nahe bei mir
vorbei, daſs mich ihr ſchöner Arm ein wenig berührte.
Betrübt ſah ich ſie wegfahren. Ich freute mich, daſs
mein Herz noch fühlen konnte. Welch ein Himmel
iſt die Liebe! Der iſt ein Engel, der in dieſem Himmel
wohnen kann, der ein Verdammter, der nie einen Plaz
darin bekommt. Troz meiner ſtrupfichten Locken hätte
ſie mich vielleicht angelächelt, wenn ſie gewuſst hätte,
daſs der berühmte Traumbilderdichter vor ihr ſtünde.“
Spät im Herbſte 1774 fing er an, des Morgens Blut
auszuwerfen, welches er für die unſchädliche Folge
eines im erſten akademiſchen Jahre gehabten hartnäcki¬
gen Huſtens, und lange zurückgebliebenen Stiches hielt.
Im Anfange des Mais 1775, wenige Wochen nach dem
Tode ſeines Vaters, ging er von Göttingen über Han¬
nover nach Marienſee zurück, wo er ſeine Kur unter
Zimmermanns Anleitung fortſezte. Den 8 Mai ſchrieb
er mir: „Vielleicht, hat Zimmermann Leiſewizen ge¬
ſagt, könnte ich noch von der Schwindſucht gerettet
werden, wenn ich die verordneten Arzeneien gebrauch¬
te, und die vorgeſchriebene Diät befolgte. Du ſiehſt alſo,
wie gefährlich meine Krankheit iſt, und auf welch ei¬
nem ſchmalen Scheidewege zwiſchen Leben und Tod
ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelty_gedichte_1783/28>, abgerufen am 19.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.