Hölty, Ludwig Christoph Heinrich: Gedichte. Hamburg, 1783.Aus einem andern Briefe vom 13 December 1773. Un¬
Aus einem andern Briefe vom 13 December 1773. Un¬
<TEI> <text> <front> <div n="1"> <pb facs="#f0025" n="XVII"/> <p>Aus einem andern Briefe vom 13 December 1773.<lb/> “Eben komme ich aus der Verſammlung unſerer Freunde.<lb/> Ich danke dem Himmel, daſs er uns zuſammengeführt<lb/> hat, und werde ihm danken, ſo lange Odem in mir<lb/> iſt. Heilige Freundſchaft, wie ſehr haſt du mich be¬<lb/> ſeligt! Ich kannte keinen, konnte keinem mein Herz<lb/> ausſchütten; du führteſt mir edle Seelen zu, die mir ſo<lb/> viele ſüſſe Stunden gemacht haben, und mir auch künf¬<lb/> tig alle Bitterkeiten des Lebens verſüſſen werden ...<lb/> Laura iſt in der Stadt geboren und erzogen. Sie iſt die<lb/> ſchönſte Perſon, die ich geſehn habe; ich habe mir kein<lb/> Ideal liebenswürdiger bilden können; hat eine majeſtä¬<lb/> tiſche Länge, und den vortrefflichſten Wuchs, ein oval¬<lb/> rundes Geſicht, blonde Haare, groſſe blaue Augen, ein<lb/> blühendes Kolorit, und Grazie und Anmut in allen ihren<lb/> Mienen und Stellungen. Nie habe ich ein Frauenzimmer<lb/> mit mehr Anſtand tanzen ſehn; und das Herz hat mir<lb/> vor Wonne gezittert, wenn ich ſie ein deutſches oder<lb/> welſches (ſie verſteht Italieniſch und Franzöſiſch) Lied<lb/> ſingen hörte. Sie fand ein groſſes Vergnügen an Kleiſts<lb/> und Geſsners Schriften; ob ſie Klopſtock lieſt, weiſs<lb/> ich nicht. Als ich ſie kennen lernte, war ſie bei ihrer<lb/> Schweſter, die in meinem Geburtsorte verheiratet war,<lb/> und im December 1768 ſtarb. Es war ein ſchöner Mai¬<lb/> abend, die Nachtigallen begannen zu ſchlagen, und die<lb/> Abenddämmerung anzubrechen. Sie ging durch einen<lb/> Gang blühender Apfelbäume, und war in die Farbe der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Un¬<lb/></fw> </p> </div> </front> </text> </TEI> [XVII/0025]
Aus einem andern Briefe vom 13 December 1773.
“Eben komme ich aus der Verſammlung unſerer Freunde.
Ich danke dem Himmel, daſs er uns zuſammengeführt
hat, und werde ihm danken, ſo lange Odem in mir
iſt. Heilige Freundſchaft, wie ſehr haſt du mich be¬
ſeligt! Ich kannte keinen, konnte keinem mein Herz
ausſchütten; du führteſt mir edle Seelen zu, die mir ſo
viele ſüſſe Stunden gemacht haben, und mir auch künf¬
tig alle Bitterkeiten des Lebens verſüſſen werden ...
Laura iſt in der Stadt geboren und erzogen. Sie iſt die
ſchönſte Perſon, die ich geſehn habe; ich habe mir kein
Ideal liebenswürdiger bilden können; hat eine majeſtä¬
tiſche Länge, und den vortrefflichſten Wuchs, ein oval¬
rundes Geſicht, blonde Haare, groſſe blaue Augen, ein
blühendes Kolorit, und Grazie und Anmut in allen ihren
Mienen und Stellungen. Nie habe ich ein Frauenzimmer
mit mehr Anſtand tanzen ſehn; und das Herz hat mir
vor Wonne gezittert, wenn ich ſie ein deutſches oder
welſches (ſie verſteht Italieniſch und Franzöſiſch) Lied
ſingen hörte. Sie fand ein groſſes Vergnügen an Kleiſts
und Geſsners Schriften; ob ſie Klopſtock lieſt, weiſs
ich nicht. Als ich ſie kennen lernte, war ſie bei ihrer
Schweſter, die in meinem Geburtsorte verheiratet war,
und im December 1768 ſtarb. Es war ein ſchöner Mai¬
abend, die Nachtigallen begannen zu ſchlagen, und die
Abenddämmerung anzubrechen. Sie ging durch einen
Gang blühender Apfelbäume, und war in die Farbe der
Un¬
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