Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.verzehrt die heftige Geistesflamme, die an deinem Leiden sich entzündete, verzehrt sie nicht alles Sterbliche dir? Ich weiß es wohl, wer leicht sich mit der Welt entzweit, versöhnt auch leichter sich mit ihr. Aber du, mit deiner Kinderstille, du, so glüklich einst in deiner hohen Demuth, Diotima! wer will dich versöhnen, wenn das Schiksaal dich empört? Liebes Leben! ist denn keine Heilkraft mehr für dich in mir? von allen Herzenslauten ruft dich keiner mehr zurük, ins menschliche Leben, wo du einst so lieblich mit gesenktem Fluge dich verweilt? o komm, o bleib in dieser Dämmerung! Diß Schattenland ist ja das Element der Liebe und hier nur rinnt der Wehmuth stiller Thau vom Himmel deiner Augen. Und denkst du unsrer goldenen Tage nicht mehr? der holdseeligen, göttlichmelodischen? säuseln sie nicht aus allen Hainen von Kalaurea dich an? Und sieh! es ist so manches in mir untergegangen, und ich habe der Hoffnungen nicht viele mehr. Dein Bild mit seinem Himmelssinne, hab' ich noch, wie einen Hausgott, aus dem Brande gerettet. Unser Leben, unsers ist noch unverlezt in mir. Sollt' ich nun verzehrt die heftige Geistesflamme, die an deinem Leiden sich entzündete, verzehrt sie nicht alles Sterbliche dir? Ich weiß es wohl, wer leicht sich mit der Welt entzweit, versöhnt auch leichter sich mit ihr. Aber du, mit deiner Kinderstille, du, so glüklich einst in deiner hohen Demuth, Diotima! wer will dich versöhnen, wenn das Schiksaal dich empört? Liebes Leben! ist denn keine Heilkraft mehr für dich in mir? von allen Herzenslauten ruft dich keiner mehr zurük, ins menschliche Leben, wo du einst so lieblich mit gesenktem Fluge dich verweilt? o komm, o bleib in dieser Dämmerung! Diß Schattenland ist ja das Element der Liebe und hier nur rinnt der Wehmuth stiller Thau vom Himmel deiner Augen. Und denkst du unsrer goldenen Tage nicht mehr? der holdseeligen, göttlichmelodischen? säuseln sie nicht aus allen Hainen von Kalaurea dich an? Und sieh! es ist so manches in mir untergegangen, und ich habe der Hoffnungen nicht viele mehr. Dein Bild mit seinem Himmelssinne, hab’ ich noch, wie einen Hausgott, aus dem Brande gerettet. Unser Leben, unsers ist noch unverlezt in mir. Sollt’ ich nun <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0078"/> verzehrt die heftige Geistesflamme, die an deinem Leiden sich entzündete, verzehrt sie nicht alles Sterbliche dir?</p><lb/> <p>Ich weiß es wohl, wer leicht sich mit der Welt entzweit, versöhnt auch leichter sich mit ihr. Aber du, mit deiner Kinderstille, du, so glüklich einst in deiner hohen Demuth, Diotima! wer will dich versöhnen, wenn das Schiksaal dich empört?</p><lb/> <p>Liebes Leben! ist denn keine Heilkraft mehr für dich in mir? von allen Herzenslauten ruft dich keiner mehr zurük, ins menschliche Leben, wo du einst so lieblich mit gesenktem Fluge dich verweilt? o komm, o bleib in dieser Dämmerung! Diß Schattenland ist ja das Element der Liebe und hier nur rinnt der Wehmuth stiller Thau vom Himmel deiner Augen.</p><lb/> <p>Und denkst du unsrer goldenen Tage nicht mehr? der holdseeligen, göttlichmelodischen? säuseln sie nicht aus allen Hainen von Kalaurea dich an?</p><lb/> <p>Und sieh! es ist so manches in mir untergegangen, und ich habe der Hoffnungen nicht viele mehr. Dein Bild mit seinem Himmelssinne, hab’ ich noch, wie einen Hausgott, aus dem Brande gerettet. Unser Leben, unsers ist noch unverlezt in mir. Sollt’ ich nun </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0078]
verzehrt die heftige Geistesflamme, die an deinem Leiden sich entzündete, verzehrt sie nicht alles Sterbliche dir?
Ich weiß es wohl, wer leicht sich mit der Welt entzweit, versöhnt auch leichter sich mit ihr. Aber du, mit deiner Kinderstille, du, so glüklich einst in deiner hohen Demuth, Diotima! wer will dich versöhnen, wenn das Schiksaal dich empört?
Liebes Leben! ist denn keine Heilkraft mehr für dich in mir? von allen Herzenslauten ruft dich keiner mehr zurük, ins menschliche Leben, wo du einst so lieblich mit gesenktem Fluge dich verweilt? o komm, o bleib in dieser Dämmerung! Diß Schattenland ist ja das Element der Liebe und hier nur rinnt der Wehmuth stiller Thau vom Himmel deiner Augen.
Und denkst du unsrer goldenen Tage nicht mehr? der holdseeligen, göttlichmelodischen? säuseln sie nicht aus allen Hainen von Kalaurea dich an?
Und sieh! es ist so manches in mir untergegangen, und ich habe der Hoffnungen nicht viele mehr. Dein Bild mit seinem Himmelssinne, hab’ ich noch, wie einen Hausgott, aus dem Brande gerettet. Unser Leben, unsers ist noch unverlezt in mir. Sollt’ ich nun
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/78>, abgerufen am 16.02.2025. |