Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.Hyperion an Bellarmin. Einige Augenblike darauf, da ich eben an Diotima schreiben wollte, trat Alabanda freudig wieder ins Zimmer. Ein Brief, Hyperion! rief er; ich schrak zusammen und flog hinzu. Wie lange, schrieb Diotima, mußt' ich leben ohne ein Zeichen von dir! Du schriebst mir von dem Schiksaalstage in Misistra und ich antwortete schnell; doch allem nach erhieltst du meinen Brief nicht. Du schriebst mir bald darauf wieder, kurz und düster, und sagtest mir, du seiest gesonnen, auf die Russische Flotte zu gehn; ich antwortete wieder; doch auch diesen Brief erhieltst du nicht; nun harrt' auch ich vergebens, vom Mai bis jezt zum Ende des Sommers, bis vor einigen Tagen der Brief kömmt, der mir sagt, ich möchte dir entsagen, Lieber! Du hast auf mich gerechnet, hast mirs zugetraut, daß dieser Brief mich nicht belaidigen könne. Das freute mich herzlich, mitten in meiner Betrübniß. Unglüklicher, hoher Geist! ich habe nur zu sehr dich gefaßt. O es ist so ganz natürlich, daß du nimmer lieben willst, weil Hyperion an Bellarmin. Einige Augenblike darauf, da ich eben an Diotima schreiben wollte, trat Alabanda freudig wieder ins Zimmer. Ein Brief, Hyperion! rief er; ich schrak zusammen und flog hinzu. Wie lange, schrieb Diotima, mußt’ ich leben ohne ein Zeichen von dir! Du schriebst mir von dem Schiksaalstage in Misistra und ich antwortete schnell; doch allem nach erhieltst du meinen Brief nicht. Du schriebst mir bald darauf wieder, kurz und düster, und sagtest mir, du seiest gesonnen, auf die Russische Flotte zu gehn; ich antwortete wieder; doch auch diesen Brief erhieltst du nicht; nun harrt’ auch ich vergebens, vom Mai bis jezt zum Ende des Sommers, bis vor einigen Tagen der Brief kömmt, der mir sagt, ich möchte dir entsagen, Lieber! Du hast auf mich gerechnet, hast mirs zugetraut, daß dieser Brief mich nicht belaidigen könne. Das freute mich herzlich, mitten in meiner Betrübniß. Unglüklicher, hoher Geist! ich habe nur zu sehr dich gefaßt. O es ist so ganz natürlich, daß du nimmer lieben willst, weil <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0067"/> <div type="chapter" n="2"> <head><hi rendition="#g #k">Hyperion</hi> an <hi rendition="#g #k">Bellarmin</hi>.</head><lb/> <p>Einige Augenblike darauf, da ich eben an Diotima schreiben wollte, trat Alabanda freudig wieder ins Zimmer. Ein Brief, Hyperion! rief er; ich schrak zusammen und flog hinzu.</p><lb/> <p>Wie lange, schrieb Diotima, mußt’ ich leben ohne ein Zeichen von dir! Du schriebst mir von dem Schiksaalstage in Misistra und ich antwortete schnell; doch allem nach erhieltst du meinen Brief nicht. Du schriebst mir bald darauf wieder, kurz und düster, und sagtest mir, du seiest gesonnen, auf die Russische Flotte zu gehn; ich antwortete wieder; doch auch diesen Brief erhieltst du nicht; nun harrt’ auch ich vergebens, vom Mai bis jezt zum Ende des Sommers, bis vor einigen Tagen der Brief kömmt, der mir sagt, ich möchte dir entsagen, Lieber!</p><lb/> <p>Du hast auf mich gerechnet, hast mirs zugetraut, daß dieser Brief mich nicht belaidigen könne. Das freute mich herzlich, mitten in meiner Betrübniß.</p><lb/> <p>Unglüklicher, hoher Geist! ich habe nur zu sehr dich gefaßt. O es ist so ganz natürlich, daß du nimmer lieben willst, weil </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
Hyperion an Bellarmin.
Einige Augenblike darauf, da ich eben an Diotima schreiben wollte, trat Alabanda freudig wieder ins Zimmer. Ein Brief, Hyperion! rief er; ich schrak zusammen und flog hinzu.
Wie lange, schrieb Diotima, mußt’ ich leben ohne ein Zeichen von dir! Du schriebst mir von dem Schiksaalstage in Misistra und ich antwortete schnell; doch allem nach erhieltst du meinen Brief nicht. Du schriebst mir bald darauf wieder, kurz und düster, und sagtest mir, du seiest gesonnen, auf die Russische Flotte zu gehn; ich antwortete wieder; doch auch diesen Brief erhieltst du nicht; nun harrt’ auch ich vergebens, vom Mai bis jezt zum Ende des Sommers, bis vor einigen Tagen der Brief kömmt, der mir sagt, ich möchte dir entsagen, Lieber!
Du hast auf mich gerechnet, hast mirs zugetraut, daß dieser Brief mich nicht belaidigen könne. Das freute mich herzlich, mitten in meiner Betrübniß.
Unglüklicher, hoher Geist! ich habe nur zu sehr dich gefaßt. O es ist so ganz natürlich, daß du nimmer lieben willst, weil
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/67 |
Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/67>, abgerufen am 16.02.2025. |