Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

rion! daß du nicht hieher kommst. Ich kenne dich. Es würde dir die Sinne nehmen. Überdiß bist du nicht sicher hier. Mein Theurer! denk an Diotimas Mutter, denk an mich und schone dich!

Ich will es dir gestehn, mir schaudert, wenn ich dein Schiksaal überdenke. Aber ich meine doch auch, der brennende Sommer trokne nicht die tiefern Quellen, nur den seichten Reegenbach aus. Ich habe dich in Augenbliken gesehn, Hyperion! wo du mir ein höher Wesen schienst. Du bist nun auf der Probe, und es muß sich zeigen, wer du bist. Leb wohl.

So schrieb Notara; und du fragst, mein Bellarmin! wie jezt mir ist, indem ich diß erzähle?

Bester! ich bin ruhig, denn ich will nichts bessers haben, als die Götter. Muß nicht alles leiden? Und je treflicher es ist, je tiefer! Leidet nicht die heilige Natur? O meine Gottheit! daß du trauern könntest, wie du seelig bist, das konnt' ich lange nicht fassen. Aber die Wonne, die nicht leidet, ist Schlaf, und ohne Tod ist kein Leben. Solltest du ewig seyn, wie ein Kind und schlummern, dem Nichts gleich? den Sieg entbehren? nicht

rion! daß du nicht hieher kommst. Ich kenne dich. Es würde dir die Sinne nehmen. Überdiß bist du nicht sicher hier. Mein Theurer! denk an Diotimas Mutter, denk an mich und schone dich!

Ich will es dir gestehn, mir schaudert, wenn ich dein Schiksaal überdenke. Aber ich meine doch auch, der brennende Sommer trokne nicht die tiefern Quellen, nur den seichten Reegenbach aus. Ich habe dich in Augenbliken gesehn, Hyperion! wo du mir ein höher Wesen schienst. Du bist nun auf der Probe, und es muß sich zeigen, wer du bist. Leb wohl.

So schrieb Notara; und du fragst, mein Bellarmin! wie jezt mir ist, indem ich diß erzähle?

Bester! ich bin ruhig, denn ich will nichts bessers haben, als die Götter. Muß nicht alles leiden? Und je treflicher es ist, je tiefer! Leidet nicht die heilige Natur? O meine Gottheit! daß du trauern könntest, wie du seelig bist, das konnt’ ich lange nicht fassen. Aber die Wonne, die nicht leidet, ist Schlaf, und ohne Tod ist kein Leben. Solltest du ewig seyn, wie ein Kind und schlummern, dem Nichts gleich? den Sieg entbehren? nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="chapter" n="2">
          <p><pb facs="#f0106"/>
rion! daß du nicht hieher kommst. Ich kenne dich. Es würde dir die Sinne nehmen. Überdiß bist du nicht sicher hier. Mein Theurer! denk an Diotimas Mutter, denk an mich und schone dich!</p><lb/>
          <p>Ich will es dir gestehn, mir schaudert, wenn ich dein Schiksaal überdenke. Aber ich meine doch auch, der brennende Sommer trokne nicht die tiefern Quellen, nur den seichten Reegenbach aus. Ich habe dich in Augenbliken gesehn, Hyperion! wo du mir ein höher Wesen schienst. Du bist nun auf der Probe, und es muß sich zeigen, wer du bist. Leb wohl.</p><lb/>
          <p>So schrieb Notara; und du fragst, mein Bellarmin! wie jezt mir ist, indem ich diß erzähle?</p><lb/>
          <p>Bester! ich bin ruhig, denn ich will nichts bessers haben, als die Götter. Muß nicht alles leiden? Und je treflicher es ist, je tiefer! Leidet nicht die heilige Natur? O meine Gottheit! daß du trauern könntest, wie du seelig bist, das konnt&#x2019; ich lange nicht fassen. Aber die Wonne, die nicht leidet, ist Schlaf, und ohne Tod ist kein Leben. Solltest du ewig seyn, wie ein Kind und schlummern, dem Nichts gleich? den Sieg entbehren? nicht
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0106] rion! daß du nicht hieher kommst. Ich kenne dich. Es würde dir die Sinne nehmen. Überdiß bist du nicht sicher hier. Mein Theurer! denk an Diotimas Mutter, denk an mich und schone dich! Ich will es dir gestehn, mir schaudert, wenn ich dein Schiksaal überdenke. Aber ich meine doch auch, der brennende Sommer trokne nicht die tiefern Quellen, nur den seichten Reegenbach aus. Ich habe dich in Augenbliken gesehn, Hyperion! wo du mir ein höher Wesen schienst. Du bist nun auf der Probe, und es muß sich zeigen, wer du bist. Leb wohl. So schrieb Notara; und du fragst, mein Bellarmin! wie jezt mir ist, indem ich diß erzähle? Bester! ich bin ruhig, denn ich will nichts bessers haben, als die Götter. Muß nicht alles leiden? Und je treflicher es ist, je tiefer! Leidet nicht die heilige Natur? O meine Gottheit! daß du trauern könntest, wie du seelig bist, das konnt’ ich lange nicht fassen. Aber die Wonne, die nicht leidet, ist Schlaf, und ohne Tod ist kein Leben. Solltest du ewig seyn, wie ein Kind und schlummern, dem Nichts gleich? den Sieg entbehren? nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Arbeitsstelle Zentralbegriffe der »Kunstperiode«, Prof. Dr. Jochen A. Bär, Universität Vechta, Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2019-12-12T13:52:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andre Pietsch, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2019-11-13T13:52:36Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: stillschweigend korrigiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: stillschweigend; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/106
Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion02_1799/106>, abgerufen am 04.05.2024.