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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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In der Tiefe von Asien soll ein Volk von seltner Trefflichkeit verborgen seyn; dahin trieb ihn seine Hoffnung weiter.

Bis Nio begleitet' ich ihn. Es waren bittere Tage. Ich habe den Schmerz ertragen gelernt, aber für solch' ein Scheiden hab' ich keine Kraft in mir.

Mit jedem Augenblikke, der uns der lezten Stunde näher brachte, wurd' es sichtbarer, wie dieser Mensch verwebt war in mein Wesen. Wie ein Sterbender den fliehenden Othem, hielt ihn meine Seele.

Am Grabe Homers brachten wir noch einige Tage zu, und Nio wurde mir die heiligste unter den Inseln.

Endlich rissen wir uns los. Mein Herz hatte sich müde gerungen. Ich war ruhiger im lezten Augenblikke. Auf den Knieen lag ich vor ihm, umschloss ihn zum leztenmale mit diesen Armen; gieb mir einen Seegen, mein Vater! rief ich leise zu ihm hinauf, und er lächelte gross, und seine Stirne breitete vor den Sternen des Morgens sich aus und sein Auge durchdrang die Räume des Himmels - Bewahrt ihn mir, rief er, ihr Geister besserer Zeit! und zieht zu eurer Unsterblichkeit ihn

In der Tiefe von Asien soll ein Volk von seltner Trefflichkeit verborgen seyn; dahin trieb ihn seine Hoffnung weiter.

Bis Nio begleitet’ ich ihn. Es waren bittere Tage. Ich habe den Schmerz ertragen gelernt, aber für solch’ ein Scheiden hab’ ich keine Kraft in mir.

Mit jedem Augenblikke, der uns der lezten Stunde näher brachte, wurd’ es sichtbarer, wie dieser Mensch verwebt war in mein Wesen. Wie ein Sterbender den fliehenden Othem, hielt ihn meine Seele.

Am Grabe Homers brachten wir noch einige Tage zu, und Nio wurde mir die heiligste unter den Inseln.

Endlich rissen wir uns los. Mein Herz hatte sich müde gerungen. Ich war ruhiger im lezten Augenblikke. Auf den Knieen lag ich vor ihm, umschloss ihn zum leztenmale mit diesen Armen; gieb mir einen Seegen, mein Vater! rief ich leise zu ihm hinauf, und er lächelte gross, und seine Stirne breitete vor den Sternen des Morgens sich aus und sein Auge durchdrang die Räume des Himmels – Bewahrt ihn mir, rief er, ihr Geister besserer Zeit! und zieht zu eurer Unsterblichkeit ihn

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[0032] In der Tiefe von Asien soll ein Volk von seltner Trefflichkeit verborgen seyn; dahin trieb ihn seine Hoffnung weiter. Bis Nio begleitet’ ich ihn. Es waren bittere Tage. Ich habe den Schmerz ertragen gelernt, aber für solch’ ein Scheiden hab’ ich keine Kraft in mir. Mit jedem Augenblikke, der uns der lezten Stunde näher brachte, wurd’ es sichtbarer, wie dieser Mensch verwebt war in mein Wesen. Wie ein Sterbender den fliehenden Othem, hielt ihn meine Seele. Am Grabe Homers brachten wir noch einige Tage zu, und Nio wurde mir die heiligste unter den Inseln. Endlich rissen wir uns los. Mein Herz hatte sich müde gerungen. Ich war ruhiger im lezten Augenblikke. Auf den Knieen lag ich vor ihm, umschloss ihn zum leztenmale mit diesen Armen; gieb mir einen Seegen, mein Vater! rief ich leise zu ihm hinauf, und er lächelte gross, und seine Stirne breitete vor den Sternen des Morgens sich aus und sein Auge durchdrang die Räume des Himmels – Bewahrt ihn mir, rief er, ihr Geister besserer Zeit! und zieht zu eurer Unsterblichkeit ihn

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/32>, abgerufen am 24.04.2024.