Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.schwer wird, sich vom Tode dessen, was er liebt, zu überzeugen, und es ist wohl keiner noch zu seines Freundes Grabe gegangen, ohne die leise Hofnung, da dem Freunde wirklich zu begegnen. Mich ergriff das schöne Phantom des alten Athens, wie einer Mutter Gestalt, die aus dem Todtenreiche zurükkehrt. O Parthenon! rief ich, Stolz der Welt! zu deinen Füssen liegt das Reich des Neptun, wie ein bezwungener Löwe, und wie Kinder, sind die andern Tempel um dich versammelt, und die beredte Agora und der Hain des Akademus - Kannst du so dich in die alte Zeit versezen, sagte Diotima. Mahne mich nicht an die Zeit! erwiedert' ich; es war ein göttlich Leben und der Mensch war da der Mittelpunkt der Natur. Der Frühling, als er um Athen her blühte, war er, wie eine bescheidne Blume an der Jungfrau Busen; die Sonne gieng schaamroth auf über den Herrlichkeiten der Erde. Die Marmorfelsen des Hymettus und Pentele sprangen hervor aus ihrer schlummernden Wiege, wie Kinder aus der Mutter Schoos, und gewannen Form und Leben unter den zärtlichen Athener-Händen. schwer wird, sich vom Tode dessen, was er liebt, zu überzeugen, und es ist wohl keiner noch zu seines Freundes Grabe gegangen, ohne die leise Hofnung, da dem Freunde wirklich zu begegnen. Mich ergriff das schöne Phantom des alten Athens, wie einer Mutter Gestalt, die aus dem Todtenreiche zurükkehrt. O Parthenon! rief ich, Stolz der Welt! zu deinen Füssen liegt das Reich des Neptun, wie ein bezwungener Löwe, und wie Kinder, sind die andern Tempel um dich versammelt, und die beredte Agora und der Hain des Akademus – Kannst du so dich in die alte Zeit versezen, sagte Diotima. Mahne mich nicht an die Zeit! erwiedert’ ich; es war ein göttlich Leben und der Mensch war da der Mittelpunkt der Natur. Der Frühling, als er um Athen her blühte, war er, wie eine bescheidne Blume an der Jungfrau Busen; die Sonne gieng schaamroth auf über den Herrlichkeiten der Erde. Die Marmorfelsen des Hymettus und Pentele sprangen hervor aus ihrer schlummernden Wiege, wie Kinder aus der Mutter Schoos, und gewannen Form und Leben unter den zärtlichen Athener-Händen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0156"/> schwer wird, sich vom Tode dessen, was er liebt, zu überzeugen, und es ist wohl keiner noch zu seines Freundes Grabe gegangen, ohne die leise Hofnung, da dem Freunde wirklich zu begegnen. Mich ergriff das schöne Phantom des alten Athens, wie einer Mutter Gestalt, die aus dem Todtenreiche zurükkehrt.</p><lb/> <p>O Parthenon! rief ich, Stolz der Welt! zu deinen Füssen liegt das Reich des Neptun, wie ein bezwungener Löwe, und wie Kinder, sind die andern Tempel um dich versammelt, und die beredte Agora und der Hain des Akademus –</p><lb/> <p>Kannst du so dich in die alte Zeit versezen, sagte Diotima.</p><lb/> <p>Mahne mich nicht an die Zeit! erwiedert’ ich; es war ein göttlich Leben und der Mensch war da der Mittelpunkt der Natur. Der Frühling, als er um Athen her blühte, war er, wie eine bescheidne Blume an der Jungfrau Busen; die Sonne gieng schaamroth auf über den Herrlichkeiten der Erde.</p><lb/> <p>Die Marmorfelsen des Hymettus und Pentele sprangen hervor aus ihrer schlummernden Wiege, wie Kinder aus der Mutter Schoos, und gewannen Form und Leben unter den zärtlichen Athener-Händen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
schwer wird, sich vom Tode dessen, was er liebt, zu überzeugen, und es ist wohl keiner noch zu seines Freundes Grabe gegangen, ohne die leise Hofnung, da dem Freunde wirklich zu begegnen. Mich ergriff das schöne Phantom des alten Athens, wie einer Mutter Gestalt, die aus dem Todtenreiche zurükkehrt.
O Parthenon! rief ich, Stolz der Welt! zu deinen Füssen liegt das Reich des Neptun, wie ein bezwungener Löwe, und wie Kinder, sind die andern Tempel um dich versammelt, und die beredte Agora und der Hain des Akademus –
Kannst du so dich in die alte Zeit versezen, sagte Diotima.
Mahne mich nicht an die Zeit! erwiedert’ ich; es war ein göttlich Leben und der Mensch war da der Mittelpunkt der Natur. Der Frühling, als er um Athen her blühte, war er, wie eine bescheidne Blume an der Jungfrau Busen; die Sonne gieng schaamroth auf über den Herrlichkeiten der Erde.
Die Marmorfelsen des Hymettus und Pentele sprangen hervor aus ihrer schlummernden Wiege, wie Kinder aus der Mutter Schoos, und gewannen Form und Leben unter den zärtlichen Athener-Händen.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/156>, abgerufen am 16.07.2024. |